Der Bonapartismus. 171 Aber so tief waren die Gedanken der Welteroberung bereits in das. Leben des neuen Frankreichs eingedrungen: die französische Nation empfand den Verlust ihrer italienischen Machtstellung als eine unerträgliche Schmach, begrüßte den heimkehrenden ägyptischen Helden mit aufrichtigem Jubel als ihren Erretter. Der Staatsstreich vom 18. Brumaire brachte kraft einer inneren Nothwendigkeit die Staatsgewalt in die Hände des Heerführers, der schon seit drei Jahren durch den Schrecken seiner Waffen die radicale Kriegspartei am Ruder erhalten hatte, und schenkte dem neuen Frankreich jene Verfassung, die mit unwesentlichen Aenderungen fortbesteht bis zum heutigen Tage. Die beiden einzigen neuen politischen Ideen, welche in der Nation feste Wurzeln geschlagen hatten, die Gedanken der Staatseinheit und der socialen Gleichheit, wurden bis in ihre letzten Folgen durchgeführt, die veränderte Vertheilung des Eigenthums anerkannt und durch eine strenge Rechtspflege gesichert. Ueber der ungegliederten Masse dieses Volkes der Gleichen erhob sich der homme-peuple, der demokratische Selbstherrscher, in dessen schrankenloser Macht die eine und untheilbare Nation mit Genug- thuung ihre eigene Größe genoß. Ihm gehorchte die festgefügte Hierarchie des schlagfertigen neuen Beamtenthums, das jedem Ehrgeiz, wenn er sich nur dem Herrscher unterwarf, Befriedigung versprach und den Regierten alle Sorge und Arbeit für das gemeine Wohl abnahm. Ihm diente blind- lings das Heer der Conscribirten aus den niederen Ständen; eine den Zwecken der Eroberungspolitik glücklich angepaßte Heeresorganisation stellte dem ersten Consul zugleich die Massen eines Volksaufgebotes und die technische Tüchtigkeit einer langgedienten Söldnertruppe zur Verfügung. Die besitzenden Klassen aber sahen, befreit von der Last der Wehrpflicht, in bequemer Sicherheit den Triumphen der dreifarbigen Fahnen zu und lernten die aufregenden Nachrichten von Krieg und Sieg als einen un- entbehrlichen Zeitvertreib schätzen. Es war zugleich der höchste Triumph und die Selbstvernichtung der Volkssouveränität. Es war der stolzeste, der gescheidteste, der bestgeordnete Despotismus der neuen Geschichte, der nothwendige Abschluß des Entwick- lungsganges, welchen der französische Staat seit der Thronbesteigung der Bourbonen eingeschlagen hatte. Auch der altüberlieferte katholische Charakter der französischen Bildung wurde jetzt durch das Concordat wiederhergestellt. Alle die fruchtbaren neuen Gedanken, welche die Gesetzgebung der National- versammlung und des Convents verwirklicht oder vorbereitet hatte, fanden in dem Präfectensysteme, den Rechtsbüchern, dem Finanz= und Heerwesen der neuen Selbstherrschaft sachkundige Verwerthung, soweit sie den beiden Zwecken der Demokratisirung der Gesellschaft und der Centralisation des Staates entsprachen. Hingegen von den Freiheitswünschen der Revolution, von der Theilnahme der Nation an der Staatsleitung blieb nichts übrig als ein leeres Schaugepräge werthloser parlamentarischer Formen. Die Verfassung des napoleonischen Frankreichs war, wie die des altbourbo-