190 I. 2. Revolution und Fremdbherrschaft. Für Oesterreich war die Fürstenrevolution eine schwere Niederlage. Die alte kaiserliche Partei wurde zersprengt, die Kaiserwürde zu einem leeren Namen, und selbst diesen Namen aufzugeben schien jetzt räthlich, da der neue Kurfürstenrath schwerlich geneigt war im Falle der Neuwahl abermals einen Erzherzog zu küren. Durch die Preisgabe ihrer west- lichen Provinzen erlangte die Monarchie zwar eine treffliche Abrundung im Südosten, und die Diplomaten der Hofburg wünschten sich Glück, daß man endlich aus einem gefährlichen und gewaltsamen Zustande befreit sei. Die Höfe von München und Stuttgart hatten jetzt wenig Grund mehr vor der Wiener Eroberungslust zu zittern, und es schien möglich dereinst wieder ein freundnachbarliches Verhältniß mit ihnen anzuknüpfen. Aber die militärische Herrschaft im deutschen Südwesten war verloren, ja Oesterreich schied in Wahrheit aus dem Reiche aus. Seine Politik mußte ganz neue Wege einschlagen, wenn sie noch irgend einen Einfluß auf Deutschland ausüben wollte; denn die Machtmittel des alten Kaiserthums waren vernutzt. Auch Preußens Macht hatte durch den Reichsdeputationshauptschluß nicht gewonnen. Wohl war es ein Vortheil, daß die österreichische Partei ver- schwand und im Reichstage ein leidliches Gleichgewicht zwischen dem Norden und dem Süden sich herstellte; vormals hatten die Staaten des Südens und Westens durch die Ueberzahl den Ausschlag gegeben, jetzt konnten auch die Stimmen Norddeutschlands zu ihrem Rechte kommen. Trotzdem war Preußens Ansehen im Reiche tief gesunken. Seine kraftlose Politik hatte überall das Gegentheil ihrer guten Absichten erreicht: statt der Ver- stärkung der deutschen Widerstandskraft vielmehr die Befestigung der fran- zösischen Uebermacht, statt des Neubaues der Reichsverfassung vielmehr eine wüste Anarchie, die der völligen Auflösung entgegentrieb. Selbst der neue Ländergewinn schien glänzender als er war. Preußen verlor die getreuen, für seine Macht wie für seine Cultur gleich werthvollen nieder- rheinischen Gebiete und erwarb dafür, außer Hildesheim, Erfurt und einigen kleineren Reichsstädten und Stiftslanden, die feste Burg des un- zufriedenen katholischen Adels, das Münsterland. Hier zum ersten male auf deutschem Boden begegnete dem preußischen Eroberer nicht bloß eine flüchtige particularistische Verstimmung, sondern ein tiefer nachhaltiger Haß, wie in den slavischen Provinzen. Die schwerfällige neue Verwaltung ge- wann wenig Ansehen in dem widerhaarigen Lande, sie brauchte drei Jahre bis sie sich nur entschloß den Herd aller staatsfeindlichen Umtriebe, das DomcBoapitel zu beseitigen. Das Einkommen des Staates wurde durch die Gebietserweiterung nicht vermehrt, da er wieder, wie früher in Franken und in Polen, die Steuerkraft der neuen Unterthanen allzu ängstlich schonte; auch die Armee erhielt nur geringe Verstärkung, um etwa drei Regi- menter. Zudem hatte man durch die neuen Verträge nicht einmal eine haltbare Grenze erlangt, sondern lediglich den preußischen Archipel im