Das neue Süddeutschland. 191 Westen durch einige neue Inseln bereichert, wie die Berliner spotteten. Der König fühlte es wohl, ohne Hannover ließen sich in so schwüler Zeit die westphälischen Provinzen nicht behaupten. Die Besetzung der welfischen Stammlande konnte bald zu einer unumgänglichen Nothwendigkeit werden, und doch geschah nichts, den Staat zu rüsten für diese ernste Zukunft. Das schlaffe System der landesväterlichen Milde und Sparsamkeit lebte so dahin, als sei die Zeit des ewigen Friedens gekommen. Währenddem holte der deutsche Süden mit einem gewaltsamen Schlage nach was Preußen durch die Arbeit zweier Jahrhunderte langsam erreicht hatte. In Norddeutschland war die Mehrzahl der geistlichen Gebiete schon während des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts mit den weltlichen Nachbarstaaten vereinigt worden; der Reichsdeputationshaupt— schluß brachte diesen Staaten nur eine mäßige Vergrößerung ohne ihren historischen Charakter zu verändern. Im Südwesten dagegen brach der gesammte überkommene Länderbestand jählings zusammen; selbst das ruhm- vollste der alten oberdeutschen Territorien, Kurpfalz, wurde zwischen den Nachbarn aufgetheilt. Hier führte die Fürstenrevolution nicht bloß eine Gebietsveränderung, sondern eine neue Staatengründung herbei. Den willkürlich zusammengeworfenen Ländertrümmern, welche man jetzt Baden, Nassau, Hessen-Darmstadt nannte, fehlte jede Gemeinschaft geschichtlicher Erinnerungen; auch in Baiern und Württemberg war das alte Stamm- land der Dynastie bei weitem nicht stark genug um die neuerworbenen Landschaften mit seinem Geiste zu erfüllen. So ward unser vielgestal- tiges Staatsleben um einen neuen Gegensatz reicher, der sich bis zum heutigen Tage nicht völlig verwischt hat. Das neue Deutschland zerfiel in drei scharf geschiedene Gruppen. Auf der einen Seite standen die kleinen norddeutschen Staaten mit ihrem alten Ständewesen und ihren ange- stammten Fürstenhäusern, auf der anderen die geschichtslosen modern- bureaukratischen Staatsbildungen Oberdeutschlands, die Geschöpfe des Bonapartismus, mitteninne endlich Preußen, das in steter Entwicklung den altständischen Staat überwunden hatte ohne seine Formen gänzlich zu zerstören. Ueber den Süden brach nun urplötzlich und mit der Roheit einer revolutionären Macht der moderne Staat herein. Eine übermüthige, dreiste, vielgeschäftige Bureaukratie, die sich Bonaparte's Präfecten zum Muster nahm, riß die Doppeladler von den Rathhäusern der Reichsstädte, die alten Wappenschilder von den Thoren der Bischofsschlösser, warf die Verfassung der Städte und der Länder über den Haufen, schuf aus dem Chaos buntscheckiger Territorien gleichförmige, streng centralisirte Ver- waltungsbezirke; sie bildete in diesen waffenlosen Landschaften eine unver- ächtliche junge Militärmacht, die für Preußen leicht lästig werden konnte, sie strebte mit jedem Mittel ein neues bairisches, württembergisches, nassau- isches Nationalgefühl großzuziehen. Dennoch ist der große Umsturz in seinen letzten Nachwirkungen nicht