Schiller und Goethe. 197 Bildungsgang und Begabung so weit Geschiedenen nach langer Ver— kennung sich endlich fanden und dann auf der Höhe des Lebens in schlichter Germanentreue fest zusammenstanden, so einig in ihrem Wirken, daß sie selber nicht mehr wußten, wer die einzelnen Distichen des Xenien— kampfes alle geschrieben hatte, und doch ein Jeder des eigenen Werthes klar bewußt, in voller Freiheit gebend und empfangend, nicht im mindesten gemeint des Freundes Eigenart zu stören Dort der verwöhnte Lieblings— sohn des Glücks, mit Rang und Reichthum, Schönheit und Gesundheit verschwenderisch ausgestattet; hier der Hartgeprüfte, der jahrelang mit Krankheit und Entbehrung kämpfte und dabei in seinem Gemüthe so stolz und frei blieb, daß keine Zeile seiner Werke die gemeinen Nöthe seines Lebens errathen ließ. Der Eine verweilte gelassen in sich selber, ganz unbekümmert um den Erfolg des Augenblicks; er ließ die goldenen Früchte seiner Dichtung ruhig reifen, bis er sie zur guten Stunde mit einem Drucke der Hand vom Aste brach; die deutsche Sprache offenbarte ihm ihre holdesten Geheimnisse, folgte gelehrig jedem Winke des Meisters; aus den Tiefen einer ewig frischen und lauteren Phantasie, aus den Weiten eines unermeßlichen Wissens strömten ihm die Bilder und Gedanken un- gesucht von selber zu. Den Anderen durchglühte ein edler Ehrgeiz: er wollte siegen, jetzt und hier, er wollte die lichten Gedanken, die ihm das Herz bewegten, groß und prächtig ausgestalten, die träge Welt hinreißen, daß sie daran glaube und „allen Unrath der Wirklichkeit“ von sich schüttle; er nutzte jede Stunde, wie im Vorgefühl des nahen Todes, wußte die Lücken seiner minder vielseitigen Bildung durch rastlosen Fleiß immer zur rechten Zeit auszufüllen und als ein umsichtiger königlicher Haushalter jedes Wort aus seinem minder reichen Sprachsatze sicher und wirksam zu verwerthen; den letzten Hauch seines feurigen Willens setzte er ein, bis ein erhebender und erschütternder Schluß gefunden war, während Goethe gemächlich so manchen herrlichen Torso halb behauen liegen ließ. Dem wesentlich lyrischen Genius Goethe's wurde jede Dichtung zum Bekenntniß, doch mitten in der Erregung des subjectiven Gefühls erhielt er sich immer jene „gutmüthige in's Reale verliebte Beschränktheit“, die er so gern als den unschuldigen productiven Zustand des naiven Dichters pries. Wenn er mit seinen inneren Erfahrungen abschloß, so blieben die Leser stets in dem holden Wahne, als ob er ganz verschwände hinter den Ge- stalten, die von dem Blute seines Herzens getrunken hatten. Schiller's dramatisches Genie schritt kühner in die objective Welt hinaus. Suchend und wählend griff er oft nach Stoffen, die mit seinem inneren Leben ur- sprünglich nichts gemein hatten; aber wenn diese fremden Gestalten erst unter seinen bildenden Händen erwarmten, dann blies er sie an mit dem Odem seines eigenen heldenhaften Wesens und ließ sie das hohe Pathos seiner eigenen feurigen Empfindung so mächtig, so unmittelbar aussprechen, daß die Hörer immer nur seine Stimme zu vernehmen glaubten und ihn