Schiller's Dramen. 201 auf die bildungsstolzen Zeitgenossen geringen Eindruck. Aber mit Ent— zücken erkannten sie sich selber wieder in den Gestalten des Wilhelm Meister: in diesen staatlosen Menschen ohne Vaterland, ohne Familie, ohne Beruf, die von aller Gebundenheit des historischen Daseins frei, nur einen Lebensinhalt kennen: den leidenschaftlichen Drang nach menschlicher Bildung. In dieser Odyssee der Bildung hielt Goethe seinem Zeitalter einen Spiegel vor, der alle Züge jener literarischen Epoche, ihre Schwächen wie ihre Lebensfülle, in wunderbarer Klarheit wiedergab, und löste zu— gleich, was noch keinem Poeten ganz gelungen war, die höchste Aufgabe des Romandichters: er zeigte, wie das Leben den strebenden und irrenden Menschen erzieht. Minder vielseitig, aber rastlos mit seinem Pfunde wuchernd errang sich Schiller indessen die Herrschaft auf der deutschen Bühne. Die ge— waltsame dramatische Aufregung, welche Goethe gern von sich fern hielt, war ihm Bedürfniß; glänzende Bilder von Kampf und Sieg schritten durch seine Träume, das Schmettern der Trompeten, das Rauschen der Fahnen und der Klang der Schwerter verfolgten ihn noch bis auf sein Todesbette. Die Leidenschaften des öffentlichen Lebens, die Kämpfe um der Menschheit große Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit, jene mächtigen Schicksalswandlungen, die über Völkerleid und Völkergröße ent- scheiden, boten seinem dramatischen Genius den natürlichen Boden. Auch seine kleineren Gedichte verweilten mit Vorliebe bei den Anfängen des Staatslebens, veranschaulichten in mannigfachen geistvollen Wendungen, wie der heilige Zwang des Rechts die friedlosen Menschen menschlich an- einander bindet, wie die rohen Seelen zerfließen in der Menschlichkeit erstem Gefühl. Schöner als in dem Liede von der Glocke ist die Ver- kettung des einfachen Menschenlebens mit den großen völkererhaltenden Mächten des Staates und der Gesellschaft niemals geschildert worden. Wie tief er auch seine „prosaische“ Zeit verachtete, wie stolz er auch jeden Versuch tendenziöser Dichtung von sich wies, dieser ganz auf die historische Welt gerichtete Geist war doch erfüllt von einem hohen politischen Pathos, das erst die Nachlebenden völlig begreifen sollten. Es war kein Zufall, daß er sich so lange mit dem Gedanken trug, die Thaten Friedrich's in einem Epos zu besingen. Als die Deutschen selbst zur Befreiung ihres Landes sich rüsteten, da ward ihnen erst das farbenglühende Bild der Volkserhebung in der Jungfrau von Orleans recht verständlich; als sie unter dem Drucke der Fremdherrschaft sich wieder auf sich selber be- sannen, da würdigten sie erst ganz die Größe des Dichters, der ihnen in seinen beiden schönsten Dramen die vaterländische Geschichte so menschlich nahe gebracht hatte. Die entsetzlichste Zeit unserer Vergangenheit gewann durch seine Dichtung ein so frisches, freudiges Leben, daß der Deutsche sich noch heute im Lager Wallenstein's fast heimischer fühlt als unter fridericianischen Soldaten; aus den Kämpfen der handfesten deutschen