202 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. Bauern des Hochgebirges gestaltete er das verklärte Bild eines großen Freiheitskrieges und legte Alles darin nieder was nur ein hoher Sinn über die ewigen Rechte des Menschen, über den Muth und Einmuth freier Völker zu sagen vermag. Der Tell sollte bald für unser politisches Leben noch folgenreicher werden als einst Klopstock's Bardengesänge. An diesem Gedichte vornehmlich nährte das heranwachsende Geschlecht seine Begeisterung für Freiheit und Vaterland; die ganz dramatisch gedachte Mahnung: „cseid einig, einig, einig!“ erschien den jungen Schwärmern wie ein heiliges Vermächtniß des Dichters an sein eigenes Volk. Die nationale Bühne freilich, worauf seit Lessing alle unsere Drama- tiker hofften, ist auch durch Schiller den Deutschen nicht geschenkt worden, weil kein einzelner Mann sie zu schaffen vermochte. Schiller strebte nach einem nationalen Stile, der das Echte und Große der älteren Dramatik, den Gestaltenreichthum, die bewegte Handlung und die tiefe Charakteristik Shakespeare's, den lyrischen Schwung der antiken, und die strenge Com- position der französischen Tragödie bewußt und selbständig in sich ver- einigen und darum dem Charakter unserer neuen Bildung entsprechen sollte. Aber es fehlte dem Dichter der lebendige Verkehr mit dem Volke. Nur der brausende Jubelruf einer großstädtischen Hörerschaft zeigt dem Dramatiker, wann er das Allen Gemeine, das wahrhaft Volksthümliche gefunden hat. Die Handvoll trübseliger Kleinbürger im Parterre des weimarischen Theaterschuppens waren kein Volk, und die vornehmen Schöngeister in den Logen des Hofes zollten den Experimenten geistreich spielender Willkür den gleichen, ja vielleicht noch lebhafteren Beifall wie dem einfach Großen. Es fehlte den Deutschen überhaupt, wie Goethe klagte, „eine Nationalcultur, die den Dichter zwingt die Eigenheiten seines Genies ihr zu unterwerfen“. Fast nur gebend, wenig empfangend standen die Dioskuren von Weimar ihrem Volke gegenüber, das sie erst empor- hoben zu reinerer Bildung. Darum sind Beide nach mannigfachen Ver- suchen mit Trilogien und Einzeldramen, mit Jamben und Reimpaaren, mit Chorgesängen und melodramatischen Einlagen doch nicht dahin gelangt für unser Drama eine Kunstform zu schaffen, die als die nationale an- erkannt wurde. Wie die feierliche, übertrieben pathetische Declamation der weimarischen Schauspieler im übrigen Deutschland nicht zur Herrschaft kam, so trieben auch die dramatischen Dichter nach Willkür und Laune ihr Wesen, Jeder von vorn beginnend, Jeder bemüht durch neue Künste und Künsteleien alle Anderen zu übertreffen. Unsere Bühne bot ein Bild der Anarchie, das freilich auch allen Zauber der ungebundenen Frei- heit zeigte. Niemand hat die kleinliche Zersplitterung des deutschen Lebens. und ihre verderbliche Einwirkung auf die Kunst schmerzlicher empfunden als Goethe. Ueber seinen Wilhelm Meister sagte er geradezu: da habe er nun „den allerelendesten Stoff, Komödianten und Landedelleute“ wählen müssen, weil die deutsche Gesellschaft dem Dichter keinen besseren biete;