Anfänge der Romantik. 205 ein Deutschland gab als das deutsche Reich verschwunden war, daß die Deutschen mitten in Noth und Knechtschaft noch an sich selber, an die Unvergänglichkeit deutschen Wesens glauben durften. Aus der Durch— bildung der freien Persönlichkeit ging unsere politische Freiheit, ging die Unabhängigkeit des deutschen Staates hervor. In dem Gedichte, das stolz und spröde wie kein zweites die Ver— achtung der Idealisten gegen die schlechte Wirklichkeit aussprach, in Schiller's Reich der Schatten standen die Worte: Nehmt die Gottheit auf in euren Willen, Und sie steigt von ihrem Weltenthron! Der Dichter ließ sie unverändert, obgleich Humboldt ihm treffend bemerkte, sie gäben den ästhetischen Grundgedanken des Gedichtes nicht rein wieder. Und er wußte was er that. Denn die Bildung, welche er mit seinen Freunden verkündigte, war nicht beschaulicher Genuß, sondern freudiges Handeln, Hingabe des ganzen Menschen in den Dienst der Idee; sie schwächte nicht, sie stählte ihren Jüngern die Kraft des Willens, erfüllte sie mit jener Sicherheit der Seele, die „schlechterdings Alles was Schicksal heißt als ganz gleichgiltig“ ansah, wie Gentz von seinem Humboldt rühmte. Dieser active Humanismus war weder weichmüthig noch staatsfeindlich, er hatte nur das Wesen des Staates noch nicht verstanden und bedurfte nur der Schule der Erfahrung um alle Tugenden des Bürgers und des Helden aus sich heraus zu bilden. Wenn derselbe Humboldt, der jetzt die Flucht vor dem Staate predigte, späterhin in fester Treue seinem Staate diente, so widersprach er sich nicht selber, sondern schritt nur weiter auf dem ein— geschlagenen Wege: er hatte gelernt, daß der Adel freier Menschenbildung in einem unterdrückten und entehrten Volke nicht bestehen kann. Unterdessen begann bereits in der Literatur selbst eine neue Strö— mung, welche die Deutschen zu einem tieferen Verständniß vom Staat und Vaterland führen sollte. Das erste Auftreten der jungen roman— tischen Schule erschien zunächst als ein sittlicher und künstlerischer Ver— fall. Waren die beiden letzten literarischen Generationen an edlen, liebenswerthen Menschen überreich gewesen, so nahm jetzt die Zahl der Eitlen, der Lüsternen, der Ueberbildeten bedenklich zu. Der Sturm und Drang, dessen das aufsteigende Dichtergeschlecht sich rühmte, war nicht mehr naive jugendliche Leidenschaft, sondern zeigte bereits den Charakter des Epigonenthums. Statt der einfältigen Lust am Schönen herrschte ein krankhafter Ehrgeiz, der um jeden Preis das Niedagewesene leisten wollte, und treffend sagte Goethe von seinen Nachfolgern: „sie kommen mir vor wie Ritter, die, um ihre Vorgänger zu überbieten, den Dank außerhalb der Schranken suchen.“ Die dichterische Kraft der Romantiker blieb weit hinter ihren großen Absichten zurück; schon den Zeitgenossen fiel es auf, daß ihre Phantasie immer laut rauschend mit den Flügeln schlug ohne je in rechten Schwung