256 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. in der akademischen Anatomie schlossen sich dem kursächsischen National- vergnügen an: eine erleuchtete Inschrift über der Eingangsthür verkündete: „Selbst die Todten rufen: Lebel“ Die übrigen kleinen Herren des Nordens waren in Napoleon's Augen nur preußische Vasallen und Offiziere, gern hätte er sie allesammt ent- fernt. Aber die zerstreute Lage dieser wundersamen Staatsgebilde er- schwerte die Einverleibung, auch stand ein zuverlässiger Rheinbunds- könig, dem man sie schenken konnte, augenblicklich nicht zur Verfügung. Den Imperator gquälten ernstere Sorgen, er legte auf die Frage nicht mehr Werth als sie verdiente und wünschte vor Allem raschen Abschluß des Handels, weil er die kleinen Contingente sogleich in dem preußischen Kriege verwenden wollte. So fanden denn die Kleinfürsten Thüringens und Westphalens eine leidliche Aufnahme, als sie, die Einen persönlich, die Andern durch ihre Minister, im Hauptquartiere zu Posen die Gnade des Siegers anflehten. Zum dritten male begann das ekelhafte Schau- spiel des deutschen Länderhandels, zum dritten male floß das Gold deutscher Fürsten in die unergründlichen Taschen der napoleonischen Diplomatie, und das Geschäft verlief glücklich, da die bedrängten Kleinen in dem nassauischen Staatsmanne Hans von Gagern einen rührigen und un- eigennützigen Makler fanden. Dieser wunderliche Verehrer der altdeutschen Freiheit hatte aus seinen gelehrten reichsgeschichtlichen Forschungen den Schluß gezogen, daß der reine Germanismus, die wahre Größe Deutsch- lands in der buntscheckigen Zersplitterung seines Staatlebens bestehe. Als er nun von den Aengsten der kleinen Herren des Nordens erfuhr, eilte er spornstreichs herbei, nahm sich der Bedrohten an und hielt durch seine vielgeschäftige Zudringlichkeit seinen alten Gönner Talleyrand der- maßen in Athem, daß der Franzose, ohnehin ein stolzer Aristokrat und dem deutschen hohen Adel wohlgesinnt, endlich auf alle Wünsche des Unermüdlichen einging. Auch der Humor fehlte nicht, der eines solchen Gegenstandes würdig war. „Schenken Sie mir einige Ihrer kleinen Fürsten,"“ rief einmal Talleyrand's Gehilfe La Besnardiere. „Nicht einen," erwiderte der heitere Lebensretter der Kleinstaaterei, „Sie müssen sie alle hinunterschlucken, und sollten Sie daran ersticken!“ So geschah es, daß die Ernestiner und die Ascanier, die Reuß und Schwarzburg, die Lippe und Waldeck als Souveräne in den Rheinbund eintraten. Der Graf von Bückeburg erschlich sich nebenbei den Fürsten- titel, da die Franzosen das Geschäft mit geringschätziger Leichtfertigkeit betrieben und in dem Vertrage kurzweg von den beiden Fürsten von Lippe sprachen. Napoleon aber klagte nachher ärgerlich, in diesem Handel sei er zum ersten male betrogen worden; hätte er gewußt, wo die Reuß, Lippe und Waldeck eigentlich säßen, so würden sie ihre Throne nicht be- halten haben. Er vergaß auch niemals, daß diese Dynasten des Nordens einst den Kern der preußischen Partei im Reiche gebildet hatten. Darum