Der Freiherr vom Stein. 271 Standen doch die Stammburgen der Häuser Stein und Nassau dicht bei einander auf demselben Felsen; warum sollte das alte Wappenschild mit den Rosen und den Balken weniger gelten als der sächsische Rautenkranz oder die württembergischen Hirschgeweihe? Der Gedanke der deutschen Einheit, zu dem die geborenen Unterthanen erst auf den weiten Umwegen der historischen Bildung gelangten, war diesem stolzen reichsfreien Herrn in die Wiege gebunden. Er wußte es gar nicht anders: „ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland, und da ich nach alter Verfassung nur ihm und keinem besonderen Theile desselben angehöre, so bin ich auch nur ihm und nicht einem Theile desselben von ganzem Herzen ergeben.“ Wenig berührt von der ästhetischen Begeisterung der Zeitgenossen versenkte sich sein thatkräftiger, auf das Wirkliche gerichteter Geist früh in die histo— rischen Dinge. Alle die Wunder der vaterländischen Geschichte, von den Cohortenstürmern des Teutoburger Waldes bis herab zu Friedrich's Grena— dieren standen lebendig vor seinen Blicken. Dem ganzen großen Deutsch— land, soweit die deutsche Zunge klingt, galt seine feurige Liebe. Keinen, der nur jemals von der Kraft und Großheit deutschen Wesens Kunde ge— geben, schloß er von seinem Herzen aus; als er im Alter in seinem Nassau einen Thurm erbaute zur Erinnerung an Deutschlands ruhmvolle Thaten, hing er die Bilder von Friedrich dem Großen und Maria Theresia, von Scharnhorst und Wallenstein friedlich nebeneinander. Sein Ideal war das gewaltige deutsche Königthum der Sachsenkaiser; die neuen Theil— staaten, die sich seitdem über den Trümmern der Monarchie erhoben hatten, erschienen ihm sammt und sonders nur als Gebilde der Willkür, heimischen Verrathes, ausländischer Ränke, reif zur Vernichtung sobald irgendwo und irgendwie die Majestät des alten rechtmäßigen Königthums wieder erstünde. Sein schonungsloser Freimuth gegen die gekrönten Häupter ent- sprang nicht bloß der angeborenen Tapferkeit eines heldenhaften Gemüthes, sondern auch dem Stolze des Reichsritters, der in allen diesen fürstlichen Herren nur pflichtvergessene, auf Kosten des Kaiserthums bereicherte Stan- desgenossen sah und nicht begreifen wollte, warum man mit solchen Zaun- königen so viel Umstände mache. Er hatte die rheinischen Feldzüge in der Nähe beobachtet und die Ueberzeugung gewonnen, die er einmal der Kaiserin von Rußland vor versammeltem Hofe aussprach: das Volk sei treu und tüchtig, nur die Erbärmlichkeit seiner Fürsten verschulde Deutschlands Verderben. Er haßte die Fremdherrschaft mit der ganzen dämonischen Macht seiner natur- wüchsigen Leidenschaft, die einmal ausbrechend unbändig wie ein Berg- strom dahinbrauste; doch nicht von der Wiederaufrichtung der verlebten alten Staatsgewalten noch von den künstlichen Gleichgewichtslehren der alten Diplomatie erwartete er das Heil Europas. Sein freier großer Sinn drang überall gradaus in den sittlichen Kern der Dinge. Mit dem Blick des Sehers erkannte er jetzt schon, wie Gneisenau, die Grund-