312 I. 3. Preußens Erhebung. zosen in der Blüthezeit des Ritterthums eigentlich die Tonangeber, die Culturbringer gewesen waren. Der schwächlich phantastische Fouqué, dem doch nur zuweilen ein stimmungsvolles, den Geheimnissen des Waldes und des Wassers abgelauschtes Märchenlied oder eine kräftige Schilde- rung altnordischer Reckengröße gelang, wurde für einige Jahre der Mode- dichter der vornehmen Welt. Die Berliner Damen schwärmten für seine sinnigen, sittigen, minniglichen Jungfrauen, für die ausbündige Tugend seiner Ritter, schmückten ihre Putztische mit eisernen Crucifixen und silber- beschlagenen Andachtsbüchern. Die germanistische Sprachforschung war bisher bei anderen Wissen- schaften zu Gaste gegangen, nur nebenher von einzelnen Historikern, Juristen und Theologen gefördert worden. Nunmehr versuchte sie endlich sich auf eigene Füße zu stellen, Herder's kühne Ahnungen und F. A. Wolf's An- sichten über die Entstehung der homerischen Gedichte für das deutsche Alter- thum zu verwerthen. Die Gebrüder Grimm gaben ihr zuerst den Charakter einer selbständigen Wissenschaft. Man achtete der beiden Anspruchslosen wenig, als sie in der Einsiedlerzeitung der Heidelberger auftraten; doch bald sollten sie sich als die Reinsten und Stärksten unter den Genossen bewähren. Durch sie vornehmlich ist der echte, fruchtbare Kern der romantischen Weltanschauung nachher einer gänzlich verwandelten Welt erhalten und in das geistige Vermögen der Nation aufgenommen worden. Sie nahmen den alten Glaubenssatz der Romantiker, daß dem Oceane der Poesie alles entströme, in vollem Ernst, suchten auf jedem Gebiete des Volkslebens, in Sprache, Recht und Sitte nachzuweisen, wie sich Bil- dung und Abstraction überall aus dem Sinnlichen, Natürlichen, Ursprüng- lichen heraus gestaltet habe. Wie vornehm herablassend hatten die Schrift- steller des achtzehnten Jahrhunderts noch zum Volke gesprochen, wenn sie sich ja einmal um den geringen Mann kümmerteng jetzt ging die zünftige Wissenschaft bei den kleinen Leuten in die Schule, hörte andächtig auf das Geplauder der Spinnstuben und der Schützenhöfe. Eine alte Bauerfrau half den Brüdern Grimm bei der Sammlung der deutschen Volksmärchen, und so entstand ein Buch wie Luther's Bibel: ein edles Gemeingut der europäischen Völker erhielt durch congeniale Nachdichtung sein bleibendes nationales Gepräge. Die altindischen Märchengestalten, der Däumling, Hans im Glücke, Dornröschen und Schneeweißchen, zeigten so grundehr- liche deutsche Gesichter, die einfältige Heiterkeit, die ihnen auf der weiten Wanderung durch Deutschlands Kinderstuben angeflogen war, sprach so anheimelnd aus der schmucklos treuherzigen Erzählung, daß wir uns heute die Lieblinge unserer Kindheit nur noch in dieser Gestalt denken können, wie wir auch die Bergpredigt nur mit Luther's Worten hören wollen. Um die nämliche Zeit wurde ein anderer, noch ärger verwahrloster Schatz der Vorzeit der Nation wieder geschenkt. Was hatten doch unsere alten Dome alles ausstehen müssen von der Selbstverliebtheit des letzten