314 I. 3. Preußens Erhebung. von Savigny, dem juristischen Lehrer der Brüder Grimm, der in Lands- hut durch seine Lehre von der rechtserzeugenden Kraft des Volksgeistes. bereits den Argwohn der bonapartistischen bairischen Bureaukratie erregte — so vor Allen von Niebuhr, dessen Römische Geschichte als die größte wissenschaftliche That der Epoche rasch allgemeine Bewunderung fand. Auch bei ihm erschien der Geist des Römervolkes — ein der pragma- tischen Geschichtschreibung des achtzehnten Jahrhunderts ganz unbekannter Begriff — als die treibende Kraft, die gestaltende Nothwendigkeit der rö- mischen Geschichte; und zugleich wies er der historischen Forschung neue Bahnen durch eine scharfe Quellenkritik, die mit sicheren Streichen die ge- sammte alte Ueberlieferung der römischen Königsgeschichte über den Haufen warf. Doch er sagte auch „der Historiker bedarf Positives.“ Die todten Buchstaben der Quellen gewannen Leben vor seinen Augen, und durch ein wahrhaft schöpferisches Vermögen gestaltete er über den Trümmern der zerstörten Tradition ein Bild des wirklich Geschehenen. Und welche maßvolle Freiheit des politischen Urtheils, ganz in Stein's vornehmem Sinne; wahres Lob für die Mäßigung der Plebes, scharfer Tadel gegen den Uebermuth der Patricier und dazu der echt preußische Schluß: unter einer starken Krone wäre eine solche Härte des Standesdünkels niemals möglich gewesen. So zeigte sich die Wissenschaft fast in allen Fächern noch lebendiger, noch productiver als die Mehrzahl der jungen Poeten. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß Alexander von Humboldt's „An- sichten der Natur" — zum ersten male in Deutschland — die Ergebnisse schwerer naturwissenschaftlicher und geographischer Forschung in einfacher classischer Darstellung der ganzen Nation zu frohem Genusse darboten. Es war eine Zeit der Dämmerung' Frischer Morgenwind verkündete das Nahen eines schönen Tages, doch die Formen und Massen der jugend- lichen Welt traten im unsicheren Zwielicht noch nicht scharf und klar aus einander. Grundverschiedene Gesinnungen, die sich bald leidenschaftlich bekämpfen sollten, gingen noch harmlos Hand in Hand. Der Reactionär Fouquê lebte mit dem radicalen Fichte wie der Sohn mit dem Vater. Von den romantischen Poeten dachten einige gläubigfromm, während andere mit den mittelalterlichen Idealen nur ironisch spielten. Auf dem historischen Gebiete erschienen neben Niebuhr's und Eichhorn's streng metho- dischen Forschungen auch phantastische Werke, wie Creuzer's Symbolik, der erste Versuch, die geheimnißvolle Nachtseite der antiken Cultur, die Reli- gion und die Mysterien der Alten zu verstehen — ein Buch voll geist- reicher Ahnungen, aber auch voll spielender Willkür, dunkel wie die Träumerei der Naturphilosophie. Die wissenschaftliche Beschaulichkeit der historischen Juristenschule war nicht frei von Angst und Thatenscheu; sie hatte im Grunde wenig gemein mit Arndt's hoffnungsvollem, unerschrockenem Freisinn und berührte sich vielfach mit den Ansichten von F. Gentz, der jetzt, erschöpft durch Ausschweifungen, innerlich erkältet und blasirt, in