328 I. 3. Preußens Erhebung. Er beherrschte Preußen militärisch so vollkommen wie bisher — auf unbe- stimmte Zeit hinaus, da die pünktliche Abzahlung der unerschwinglichen Schuld ganz außer Frage stand; er unterbrach die Rüstungen des ver- dächtigen Bundesgenossen und gewann zudem die freie Verfügung über seine große Armee sowie das Versprechen preußischer Hilfstruppen für den Fall eines Krieges mit Oesterreich! Der König schwankte lange, ob er diese neue Mißhandlung hin- nehmen dürfe. Er verlangte Herabsetzung der Contribution, wollte weder die Oderfestungen preisgeben noch die Stärke seiner Armee sich vorschreiben lassen und am allerwenigsten sich von seinem Minister tren- nen. Noch blieb ihm eine letzte Hoffnung: die Vermittlung Rußlands. Alexander aber hatte jetzt nur noch Augen für die Erwerbung der Moldau und Walachei; erst wenn dies Ziel seines Ehrgeizes erreicht war durfte man ihm wieder von der Befreiung Europas sprechen. Darum hielt er fest an dem französischen Bündniß und blieb, als er auf der Durchreise zu Napoleon den Königsberger Hof besuchte, den Mahnungen seines preußi- schen Freundes völlig unzugänglich: wohl oder übel müsse man sich mit Frankreich vertragen, er wolle zusehen, ob er von dem Imperator eine Milderung des Pariser Vertrages erlangen könne. Im October 1808 trafen die beiden Kaiser in Erfurt zusammen. Zum zweiten male, wie vier Jahre zuvor in Mainz, hielt der Protector Deutschlands einen glänzenden Hoftag unter seinen deutschen Vasallen. Talma spielte vor einem Parterre von Königen; in jeder Miene des Im- perators, in jeder Förmlichkeit des Hofceremoniells verrieth sich die Ver- achtung des gekrönten Plebejers gegen seine hochgeborenen Bedienten. Taisez-vous! Ce ’est qdu’un roil rief der Offizier der Leibwache seinem Trommler zu, als dieser vor einem Könige von Napoleon's Gnaden das Spiel rühren wollte. Die Anwesenheit der deutschen Könige sollte lediglich dem Czaren die Macht seines Verbündeten greifbar vor die Augen stellen; von den Verhandlungen blieb das Dienergefolge ausgeschlossen. In einem geheimen Vertrage verpflichtete sich Napoleon der Eroberung von Finn- land und den Donaufürstenthümern nichts in den Weg zu legen, dafür wurde Joseph Bonaparte von Rußland als König von Spanien anerkannt. Ein gemeinsamer Brief der beiden Kaiser forderte den König von England auf, seinerseits diesen Abmachungen beizutreten; wo nicht, so würden sie den Krieg mit ganzer Kraft weiter führen. Für Preußen erreichte der Czar nur die Herabsetzung der Contribution um 20 Mill.; doch selbst dies einzige Zugeständniß mußte durch eine nochmalige schnöde Verletzung des Tilsiter Friedens erkauft werden. In Tilsit war dem Könige ein Gebiet von 400,000 Einwohnern zur Entschädigung versprochen, falls Napoleon sich das hannoversche Land aneigne; diese Zusage wurde jetzt mit Alexander's Zustimmung zurückgenommen. Napoleon schien befriedigt, er konnte jetzt unbedenklich an die Bändi-