350 I. 3. Preußens Erhebung. Niederlage seines österreichischen Schwagers beiwohnte! Um so bitterer zürnten die preußischen Patrioten, daß die große Stunde versäumt sei. Die Königin klagte schmerzlich: „Oesterreich singt sein Schwanenlied, und dann ade Germania!“ Und doch hatte der König nur gethan was die klar erkannte Pflicht gebot. Napoleon war im Rechte, wenn er nach dem Frieden den preußischen Gesandten anherrschte: „Es ist nicht Euer Verdienst, daß Ihr ruhig bliebt; es wäre der Gipfel des Wahnsinns gewesen, wenn Ihr mir den Krieg erklärt hättet mit den Russen im Rücken!“ Er wußte wohl, daß es ihm nöthigenfalls ein Leichtes gewesen wäre, zunächst den Kaiser Franz durch eine neue Schlacht zu einem Sonderfrieden zu zwingen und dann mit zermalmender Wucht den Todesstoß gegen das vereinzelte Preußen zu führen. Wir Nachlebenden wissen auch, was jene Zeit weder sehen konnte noch wollte: daß selbst der unwahrscheinliche Fall eines österreichi- schen Sieges unserem Vaterlande kein Heil bringen konnte. Dann wäre ein neues Wallensteinisches Zeitalter über Deutschland hereingebrochen, die habsburgische Fremdherrschaft an die Stelle der napoleonischen getreten. Der Mann aber, der an der großen Enttäuschung die Hauptschuld trug, wurde schnell irr an der Klugheit seiner feinen Berechnungen. Alexander fürchtete nichts so sehr wie die Wiederherstellung Polens durch Napoleon. Wenn Ihr daran denkt, sagte er zu Caulaincourt, dann ist die Welt nicht groß genug, um einen Ausgleich zwischen uns zu erlauben, und wiederholt gab er dem französischen Gesandten zu vernehmen: Galizien dürfe schlechterdings nur an Rußland fallen, wenn es nicht bei Oester- reich verbleibe. Nun mußte er erleben, daß Napoleon im Wiener Frieden eigenmächtig das ganze Neugalizien, an anderthalb Millionen Einwohner mit den wichtigen Plätzen Zamosz, Lublin und Krakau dem Herzogthum Warschau schenkte — lauter Gebiete, welche Rußland soeben erobert hatte und noch besetzt hielt. Dem Czaren selber wurde bloß ein Brocken aus der Beute, der Landstrich um Tarnopol, zugeworfen — nur der Schande halber, nur damit die Welt sehe, der Czar sei doch Frankreichs Ver- bündeter gewesen; nebenbei sollte dies Dangergeschenk den Petersburger Hof mit dem Wiener gründlich verfeinden. Die Wiederaufrichtung der alten polnischen Krone rückte bedrohlich nahe; das Verhältniß zwischen den Tilsiter Alliirten ward täglich kühler seit Napoleon den neuen Freundschaftsbund mit Oesterreich geschlossen hatte. Alexander fühlte, daß ihm selber ein Kampf um das Dasein bevorstehe. Zunächst wurde Preußen strenge zur Rechenschaft gezogen für die kriegerischen Absichten des vergangenen Jahres. Nun der Imperator des Hauses Oesterreich sicher war, nahm er gar keine Rücksicht mehr. Er kannte die geheimsten Gedanken des königlichen Hofes, theils durch die Verrätherei der österreichischen Diplomaten, theils aus den Berichten seiner eigenen Spione, und er hatte Grund zur Beschwerde, da Preußen durch die Einstellung der Contributionszahlungen sich selber in's Unrecht gesetzt