360 I. 3. Preußens Erhebung. schen Rechtes über den Haufen, verschmolzen das bürgerlich-protestantische Altwürttemberg mit den geistlichen, reichsstädtischen und adlichen Territo- rien Neuwürttembergs zu einer Masse. Der Wille des Königs und seiner zwölf Landvögte gebot unumschränkt in den nördlichen wie in den südlichen Provinzen des Reichs — so lautete der bescheidene Ausdruck der Amts- sprache; sämmtliche Gemeindebeamten ernannte der König. Alles zitterte, wenn der ruchlose dicke Herr in seinem Muschelwagen heranfuhr; die Werk- zeuge seiner unnatürlichen Lüste sowie einige habgierige mecklenburgische Junker bildeten seine tägliche Umgebung. Durch Zwangsaushebung ver- schaffte er sich alle Arbeitskräfte, die er brauchte, sogar seine Lakaien; in einem einzigen Oberamte wurden mehr als 21,000 Mann zur königlichen Jagdfrohne aufgeboten. Ein strenges Verbot der Auswanderung raubte dem verzweifelten Volke die letzte Hoffnung. Mit besonderer Schadenfreude gab der König den erlauchten Herren vom Reichsadel seine selbstherrliche Macht zu fühlen; er bedurfte kaum der Mahnungen des Protectors, der seine Vasallen beständig vor den Umtrieben der Mediatisirten warnte. Die alten Familiengesetze der Fürsten, Grafen und Ritter wurden mit einem Schlage beseitigt; die neue Hofrangordnung gab den adlichen Grund- herren ihren Platz hinter den Pagen und Stalljunkern, und wer nicht bei Hofe erschien, verlor ein Viertel seines Einkommens. Gewiß entsprang auch dieser Sultanismus — wie Stein das Treiben der rheinbündischen Despoten zu nennen pflegte — nicht allein der per- sönlichen Laune. Der König verfolgte und erreichte das Ziel der würt- tembergischen Staatseinheit, und es brauchte einer eisernen Faust, um diese classischen Lande der Kirchthurmspolitik in etwas größere Verhältnisse einzuführen. Ueberall wo die rheinbündische Bureaukratie die Erbschaft der kleinen Reichsfürsten antrat, stieß sie auf völlig verrottete, lächerliche Zustände. Als die Staaten der beiden Häuser Leiningen-Westerburg dem Großherzogthum Berg einverleibt wurden, da fand sich in der gemein- schaftlichen Kreiskasse beider Lande als einziger Bestand — ein Vorschuß von 45 Gulden, den der Rendant aus eigener Tasche vorgestreckt. Der Untergang solcher Staatsgebilde konnte kein Verlust für die Nation sein. In Mürttemberg aber wurde die unvermeidliche Revolution mit so grau- samer Roheit, mit so cynischem Hohne durchgeführt, daß die Massen nur die Härte, nicht die Nothwendigkeit des Umsturzes fühlen konnten. Während die geknebelte Presse schwieg, sammelte sich im Volke ein stiller dumpfer Groll gegen den König an. Die Einwohner der Reichsstädte, der hohen- lohischen, der Stifts= und Ordenslande wollten sich an das neue Wesen schlechterdings nicht gewöhnen. Auch die Altwürttemberger vergaßen über dem schweren Druck der Gegenwart Alles, was einst die Vettern und Vettersvettern der „Ehrbarkeit“ in ihren Landtagsausschüssen gesündigt hatten und sehnten sich zurück nach dem „alten guten Rechte"“ der ständi- schen Verfassung. Der Gesichtskreis dieser kleinstaatlichen Welt blieb frei-