374 I. 3. Preußens Erhebung. das Recht der Berathung, nicht die Mitentscheidung. Stein's Gesetzgebung hatte die Grundlagen des großen Reformwerks längst sicher gestellt, und auch die Gesetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren zum Theil schon vollendete Thatsachen. Der Staatskanzler versammelte die Deputirten in seiner Wohnung und begrüßte sie sogleich in der väterlichen Weise des alten Absolutismus: wie ein guter Vater von seinen Kindern so verlange der König von seinem geliebten Volke nicht blinden Gehorsam, sondern freie Zustimmung zu seinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge— bildet, unter dem Vorsitze der vier anwesenden Regierungspräsidenten; jede berieth für sich, schickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu sich berief und endlich dem Monarchen Bericht erstattete. Die Versammlungen erschienen wie eine vertrauliche Besprechung mit der Person des höchsten Beamten, und doch wurden sie dem Staatskanzler bald sehr unbequem. Eine ganze Welt von bedrohten wirthschaftlichen und örtlichen Interessen erhob sich aufge— scheucht; gerechte und ungerechte Klagen schwirrten hin und her; keine Spur einer Parteibildung, nur ein krauses Durcheinander von Lands— mannschaften und ständischen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl— steuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabsichtigte Con— solidation der Kriegsschulden rief stürmischen Widerspruch hervor, da die Kurmark tief verschuldet war, während Altpreußen einen großen Theil seiner Kriegslasten durch Steuern gedeckt hatte. Am lautesten lärmten die Vertreter der Ritterschaft; sie waren ver— traut mit der neuen englischen Theorie, wornach die Grundsteuer den Charakter einer Rente trug, behaupteten steif und fest, die geplante Aus- gleichung der Grundsteuer sei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen Rechtsgefühle spielte auch die nackte Selbstsucht mit; dieselbe kurmärkische Landschaft, deren Redner so zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei- heitsbriefe festhielten, stellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumuthung: es sollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen Machtbefehl vorläufig eingestellt werden!“) Währenddem rückten die unaufhaltsamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen Verwahrung ihrer „vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten“ heran. Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten sie, durch die neuen Gesetze werde das Grundgesetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man das alte ehr- liche brandenburgische Preußen in einen neumodischen Judenstaat ver- wandeln wolle. Unter den Unterzeichnern stand Marwitz natürlich oben- an; neben ihm der alte Graf Finkenstein, einer jener pflichtgetreuen Richter, welche bei dem Processe des Müllers Arnold die unverdiente Ungnade König Friedrich's erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß *) Eingabe der kurmärkischen Landschaft v. 10. Oct. 1810.