Die Landesdeputirten-Versammlung. 375 jetzt die Geduld; er ließ die beiden ersten Unterzeichner ohne Urtheil und Recht nach Spandau auf die Festung bringen. Am 16. September schloß er dann die Versammlung der Landesdeputirten und zählte noch einmal die Grundgedanken des neuen Systems auf: ein Jeder solle frei seine Kräfte benutzen, Niemand dürfe einseitige Lasten tragen; Gleichheit Aller vor dem Gesetze, freie Bahn für jedes Verdienst; Einheit und Ordnung in der Verwaltung; so werde in Allen ein Nationalgeist, ein Interesse und ein Sinn geweckt werden. „Kehren Sie nun“ — so rief er endlich aus — „in Ihre Provinzen zurück und verbreiten Sie dort den guten Geist, der Sie selbst beseelt. Stärken Sie das Vertrauen zu einer Regierung, die es so redlich meint!“ Seine wirkliche Meinung entsprach diesen freund- lichen Worten keineswegs. Vielmehr zog er, und gleich ihm der König, aus dem chaotischen Hin= und Herreden dieser Notabeluversammlung den richtigen Schluß, daß ein allgemeiner Landtag, jetzt berufen, den Fortgang der Reformen hemmen müsse. So stand es: nur die Machtvollkommen- heit der absoluten Krone konnte dem preußischen Volke den Weg zur Freiheit eröffnen. Fast gleichzeitig mit der Entlassung der Landesdeputirten erschien die zweite große Sturzwelle der Hardenbergischen Gesetzgebung. Das Edict vom 7. Sept. 1811 über die Finanzen berücksichtigte einige Wünsche der Landesdeputirten, hob das Verbot der Handmühlen sowie die Consum- tionssteuer auf dem flachen Lande größtentheils wieder auf und belegte statt dessen das Landvolk mit einer Kopfsteuer. Dagegen widersprach das am selben Tage beschlossene Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe schnurstracks den Ansichten der Notabelnversammlung: die Krone eilte wieder einmal den Anschauungen des Volkes voraus, sie gewährte vollständige Gewerbefreiheit, dergestalt daß Jeder, der einen Gewerbeschein löste, Lehrlinze und Gesellen halten, jeder Zünftler aus seiner Innung austreten, jede Zunft durch Mehrheitsbeschluß oder durch den Befehl der Landespolizeibehörde aufgelöst werden durfte. Es war ein Schritt von radicaler Verwegenheit. Nicht ohne Grund klagten Stein und Vincke, man hätte die Zünfte, statt sie aufzulösen, vielmehr in einem freien Sinne neugestalten sollen. Weit überwiegend blieb gleichwohl der Segen dieser kühnen Neuerung. Der kleine Mann genoß fortan in Preußen einer wirthschaftlichen Freiheit, wie nirgendwo sonst in Deutschland, und obgleich die Verhältnisse der Kleingewerbe, Dank der Zähigkeit unserer Alltags- gewohnheiten, sich weit weniger veränderten als man erwartete, so war es doch wesentlich der Freiheit des gewerblichen Lebens zu verdanken, daß die Bevölkerung der Hauptstadt selbst in diesen Jahren der bitteren Noth unaufhaltsam anwuchs. Wie dies Gesetz der Städteordnung Stein's erst den Abschluß brachte, so wurden auch die agrarischen Gesetze des Reichsritters erst vollendet durch die beiden Edicte vom 14. Sept. 1811 über die Regulirung der