384 I. 3. Preußens Erhebung. legen solle; das hieß den Russen jede Verzehrung von Colonialwaaren ver- bieten. Alexander antwortete durch einen Ukas, der die Einfuhr franzö- sischer Fabrikate hart traf. Ein gereizter Briefwechsel gab der Erbitterung der beiden Kaiser lebhaften Ausdruck. Ew. Majestät hat keine Freund- schaft mehr für mich — so schrieb Napoleon im Februar 1811 — unsere Allianz besteht nicht mehr in den Augen Englands und Europas. Unterdessen betrieb er mit gewohnter Umsicht die Rüstungen für einen Kampf ohne Gleichen. Schon seit dem Frühjahr 1810 ließ er un- geheuere Waffenvorräthe im Warschauischen aufhäufen und die Festungen des Herzogthums für den Krieg vorbereiten — das Alles „aus bloßer Vorsicht", wie er an Friedrich August von Sachsen schrieb. Im April 1811 erhielten die Fürsten des Rheinbundes den Befehl, ihre Truppen marschbereit zu halten; Magdeburg war von den Franzosen besetzt, die Garnisonen in Danzig und den Oderfestungen wurden verdoppelt, an der unteren Elbe sammelte sich ein Heer von 200,000 Mann. Es lag vor Augen: Preußen sollte durch einen plötzlichen Einbruch vernichtet oder durch Drohungen zum Anschluß an Frankreich gezwungen werden; dann begann der russische Feldzug sogleich von Warschau aus. Am 15. August 1811 überschüttete Napoleon in öffentlicher Versammlung den russischen Gesandten Kurakin mit gehässigen Scheltworten, und die Welt wußte bereits: durch solche Scenen pflegte der Imperator seine Kriege einzuleiten. Wollte Alexander den ungleichen Kampf bestehen, so war unerläßlich, daß er seine gesammte Macht bereit hielt und sich mit den deutschen Großmächten verständigte. Von den beiden goldenen Früchten, die er sich von dem Tilsiter Bündniß versprochen, war die eine bereits glücklich einge- heimst. Das besiegte Schweden hatte Finnland den Russen abgetreten, und auch in den Donauprovinzen behaupteten sich Alexander's Truppen. Aber die Pforte widerstand noch immer hartnäckig, und Napoleon er- muthigte sie insgeheim, denn er sah voraus, daß der Kampf um die Donaumündungen jede Versöhnung zwischen Rußland und Oesterreich vereiteln mußte. Die Hofburg grollte dem Czaren, sie schrieb ihm vor Allen das Mißlingen des letzten Krieges zu. Trotzdem unternahm Kaiser Franz schon im Jahre 1809 den Versuch einer geheimen Annäherung, da er der französischen Freundschaft wenig traute. Alexander schlug freudig ein in die dargebotene Hand; er glaubte in jenem Augenblicke noch an die Fortdauer des Tilsiter Bündnisses und spielte mit dem Plane eines Dreikaiserbundes, der die Theilung der Türkei herbeiführen solle. Indeß die Wiener Nüchternheit blieb für solche Träume unempfänglich. Erz- herzog Karl vornehmlich zeigte wie immer ein offenes Verständniß für die orientalischen Interessen der Monarchie, er verwarf jede Verständigung mit Rußland, so lange die untere Donau in der Hand des Czaren sei, und Metternich erklärte endlich dem russischen Gesandten: „macht ein Ende mit der Türkei, dann erst können wir mit Euch verhandeln!“