Die Landwehr. 441 sorgen; das erste Glied des Fußvolks trug Piken, bewaffnete sich erst im Verlaufe des Kriegs zum Theil mit erbeuteten feindlichen Gewehren. Monate mußten vergehen bis eine solche Truppe in der Feldschlacht verwendet werden konnte. Während des Frühjahrsfeldzugs wurde die Landwehr nur nothdürftig eingeübt oder zum Festungskriege benutzt; erst nach dem Waffenstillstande rückten sie in größeren Massen in's Feld. Auch dann noch bildete die Linie, der ja alle höheren Führer und die technischen Truppen ausschließlich angehörten, selbstverständlich den festen Kern des Heeres. Kleist hatte unter den 41 Bataillonen seines Corps 16 Land- wehrbataillone, Bülow unter der gleichen Zahl nur 12; nur in Vork's Corps überwog die Landwehr — mit 24 Bataillonen unter 45. Die Wehrmänner hatten noch eine Zeit lang mit den natürlichen Untugenden ungeschulter Truppen zu kämpfen: beim ersten Angriff hielten sie nicht leicht Stand, wenn ein unerwartetes Bataillonsfeuer sie in Schrecken setzte; kam es zum Handgemenge, dann entlud sich die lang verhaltene Wuth der Bauern in fürchterlicher Mordgier; nach dem Siege waren sie schwer wieder zu sammeln, da sie den geschlagenen Feind immer bis an das Ende der Welt verfolgen wollten. Nach einigen Wochen wurde ihre Haltung sicherer, und gegen den Herbst hin begann Napoleon's Spott über „dies Gewölk schlechter Infanterie“ zu verstummen. Die kampfgewohnten Bataillone der Landwehr waren allmählich fast ebenso kriegstüchtig ge- worden wie das stehende Heer, wenngleich sie weder mit der Disciplin noch mit der stattlichen äußeren Haltung der Linientruppen wetteifern konnten und immer unverhältnißmäßige Verluste erlitten: — eine in der Kriegsgeschichte beispiellose Thatsache, die nur möglich ward durch den sittlichen Schwung eines nationalen Daseinskampfes. Schwerer, natür- lich, gelang die Ausbildung der Landwehrreiter; doch haben auch sie unter kundigen Führern manches Vortreffliche geleistet. Marwitz ließ seine mär- kischen Bauernjungen ihre kleinen Klepper nur auf der Trense reiten, ohne Kandare und Sporen, störte sie nicht in ihren ländlichen Reiterkünsten, verlangte nur, daß sie Pferd und Waffen mit Sicherheit zu brauchen lernten, und brachte diese naturwüchsige Cavalerie nach kurzer Zeit so weit, daß er von ihr im Felddienste alles fordern konnte. Nach der Einberufung der Landwehr vergingen wieder fünf Wochen bis am 21. April das Gesetz über den Landsturm unterzeichnet wurde. Die Cadres der Landwehrbataillone mußten erst formirt sein bevor man zum Aufgebote der letzten Kräfte des Volkes schreiten konnte. Scharnhorst stand damals schon fern von Breslau im Feldlager. Schwerlich ist der General ganz einverstanden gewesen mit Form und Inhalt dieses von einem Civilbeamten Bartholdi verfaßten Gesetzes, das einem gesitteten Volke Unmögliches zumuthete und, vollständig durchgeführt, der Krieg- führung beider Theile das Gepräge fanatischer Barbarei hätte geben müssen. Ausdrücklich war der furchtbare Grundsatz ausgesprochen, daß