492 I. 4. Der Befreiungskrieg. Große, zukunftsreiche Gedanken waren in dieser Denkschrift nieder— gelegt, so das zweifache Verlangen nach landständischen Rechten und einem deutschen Parlamente, doch Alles gährte noch roh und unfertig durchein— ander. Der eigentliche Kern der deutschen Frage blieb dem ersten Manne der Nation noch völlig dunkel. In seiner hochherzigen Begeisterung für die Größe der Ottonen und der Staufer wollte er den dreihundertjährigen Jammer jener Fremdherrschaft wiederherstellen, die den Verfall der alten Kaiserherrlichkeit herbeigeführt hatte. Wie Preußens norddeutsche Hege— monie mit dem österreichischen Kaiserthum und dem Regensburger Reichs— tage sich vertragen, ob auch Preußen zu Gunsten dieser Kaiserkrone auf seine Militärhoheit und auf seine selbständige europäische Politik verzichten sollte — alle diese verhängnißvollen Machtfragen ließ der Reichsritter unerörtert. Der Staatskanzler zeigte sich mit mehreren Grundgedanken der Denk— schrift einverstanden. Gleich Stein hielt er die Mittelstaaten für Deutsch— lands ärgste Feinde und dachte ihnen die schmählichen Erwerbungen der letzten sieben Jahre wieder abzunehmen; der Besitzstand von 1805 sollte wie für die Wiederherstellung der beiden Großmächte so auch für die übrigen deutschen Staaten die Richtschnur bilden. Aber Hardenberg wollte das also gewonnene Land nicht den Mediatisirten zurückgeben, sondern zur Verstärkung von Oesterreich und Preußen verwenden. Wie Stein war auch er überzeugt von der Nothwendigkeit des Dualismus, und so ernsthaft, so uneigennützig verfolgte er diese alten Bartensteiner Pläne, daß er die österreichischen Staatsmänner wiederholt und dringend bat, die vorderösterreichischen Lande am Oberrhein wieder mit dem Kaiserstaate zu vereinigen; nur so werde Oesterreich in Wahrheit der Herr von Süd- deutschland und durch sein eigenes Interesse genöthigt jeden Uebergriff Frankreichs zurückzuweisen. Die Sicherung des deutschen Bodens gegen neue Gewaltthaten des westlichen Nachbars blieb in Hardenberg's Augen der wichtigste Zweck des künftigen Deutschen Bundes. Dagegen verwarf er entschieden die Wiederherstellung des Kaiserthums; in diesem Gedanken fanden sich Humboldt und, außer Stein, alle preußischen Staatsmänner mit dem Staatskanzler zusammen. So stark war das Selbstgefühl der norddeutschen Macht doch angewachsen, daß sie eine förmliche Unterord- nung nicht mehr ertragen konnte; nur in voller Gleichberechtigung durften die beiden Großmächte an die Spitze der kleinen Staaten treten. Unter den norddeutschen Patrioten vernahm man sogar seit den Siegen der jüngsten Wochen immer häufiger die Frage: warum denn dies Preußen, das die Waffen Deutschlands führe, nicht selber an Oesterreichs Stelle die Herrschaft im Reiche übernehmen solle? Wenn Metternich's Angst vor den norddeutschen Jacobinern überhaupt noch wachsen konnte, so mußte sie durch diese Denkschrift gesteigert werden. In jedem Satze fand er das genaue Gegentheil seiner eigenen Meinung.