494 I. 4. Der Befreiungskrieg. Ruheseligkeit und Gedankenarmuth seines Geistes, der bei aller Schlau- heit völlig unfruchtbar die Idee eines großen schöpferischen Verfassungs- planes niemals hätte fassen können, sondern auch aus einer richtigen Würdigung der Leistungsfähigkeit seines Staates. Wie Preußen an seiner Schwäche, so krankte Oesterreich von jeher an seiner Stärke, an jener Ueberfülle grundverschiedener politischer Ziele, die ihm durch die bunte Mannigfaltigkeit seines Ländergewirrs gestellt wurden. Dieser alte Fluch des Kaiserstaates wurde jetzt erneuert durch die blinde Gier einer sich unendlich klug dünkenden Staatskunst. Das neue Oesterreich wollte zu- gleich Italien beherrschen, die Führung in Deutschland behaupten und das zwieträchtige Völkergewimmel an der Donau zusammenhalten — drei schwierige Aufgaben, denen kein Staat der Welt, und am allerwenigsten ein Staat von so geringen geistigen Kräften, auf die Dauer genügen konnte. Die Zeit sollte kommen, da die kurzsichtige Thorheit dieser Politik sich grausam bestrafte; damals hatte noch niemand die tiefe Unsittlichkeit, die innere Unmöglichkeit der Pläne Metternich's durchschaut. Die Cabinette sahen vielmehr nicht ohne Neid, wie glücklich und sicher der gewandte Mann sich seinen Zielen näherte. Er erkannte richtig, daß sein Oesterreich eine Macht des Beharrens war und alle verwegenen Neuerungen von sich weisen mußte; ein Staat in solcher Lage hatte keinen ärgeren Feind als das Verlangen der Nationen nach Einheit und Freiheit, er durfte diesseits wie jenseits der Alpen sich nur auf das dynastische Interesse der Höfe stützen. Der österreichische Staatsmann wollte sich also behutsam mit der mittelbaren Herrschaft über das gesammte Deutschland begnügen ohne die Könige von Napoleon's Gnaden durch die anspruchsvollen Formen kaiserlicher Majestät zu verletzen. An eine Mitherrschaft Preußens dachte er um so weniger, da er wohl wußte, daß die Mittelstaaten sämmtlich die Hegemonie der aufstrebenden preußischen Macht im Norden noch weit mehr fürchteten als das österreichische Kaiserthum. Allen irgend unterrichteten Diplomaten war diese Ansicht Metternich's wohl bekannt. Auch Hardenberg konnte sie leicht errathen, wenn er nur die Augen offen hielt; woher kam es denn, daß Oesterreich sich so beharrlich weigerte, die Herrschaft über die ober- schwäbischen Lande von Neuem zu übernehmen? Hier aber begann die lange Reihe der diplomatischen Fehler des Staatskanzlers. Seine Ver- träge mit England und Rußland waren, einzelner Mißgriffe ungeachtet, doch gerechtfertigt durch das Gebot der Noth. Sein Verhalten gegen Oesterreich entsprang einem folgenschweren Irrthum. Er setzte leichtsinnig eine freundnachbarliche Gesinnung voraus, wovon in der Hofburg keine Spur vorhanden war; höchstwahrscheinlich ist er in solcher Meinung ab- sichtlich bestärkt worden durch seinen Vetter Graf Hardenberg, den hanno- verschen Agenten in Wien, einen anrüchigen, zweizüngigen Menschen, der lange den Vermittler zwischen den beiden deutschen Großmächten spielte, doch in Wahrheit nur ein Werkzeug Metternich's war.