508 I. 4. Der Befreiungskrieg. über, wegen des verspäteten Eintreffens der Nordarmee, sein kleines Heer zusammenhalten müssen um einen Ausfall in der Richtung auf Torgau, den man noch immer befürchtete, zurückweisen zu können; darum ward York erst am Abend auf dem weiten Umwege über Merseburg dem fliehen- den Feinde nachgesendet. Also konnte Napoleon noch 90,000 Mann, fast durchweg Franzosen, aus der Schlacht retten. Die Deckung des Rück- zugs, die Vertheidigung der Stadt überließ er seinen Vasallen, den Rhein- bündnern, Polen und Italienern; mochten sie noch einmal für ihn bluten, dem Kaiserreich waren sie doch verloren. So mußte denn am 19. der Kampf um den Besitz der Stadt selber von Neuem begonnen werden. Während Blücher im Norden seine Russen gegen das Gerberthor führt und dort zuerst von den Kosaken mit dem Ehrennamen Marschall Vorwärts begrüßt wird, bricht Bülow's Corps aus den Kohlgärten gegen die Ostseite der Stadt auf. Borstell's Brigade dringt in den Park der Milchinsel, Friccius mit der ostpreußischen Landwehr er- stürmt das Grimmaische Thor. Noch stehen die Regimenter des Rhein- bundes dicht gedrängt auf dem alten Markte, da tönen schon die Flügel- hörner der pommerschen Füsiliere die Grimmaische Gasse herunter, da- zwischen hinein der donnernde Ruf: Hoch Friedrich Wilhelm! Bald blitzen die Bajonette, lärmen die Trommeln und gellen die Querpfeifen auch in den andern engen Gassen, die nahe bei dem alten Rathhause münden. Alles strömt zum Marktplatze; die Sieger von der Katzbach, von Kulm und Dennewitz feiern hier in Gegenwart der gefangenen Feinde jubelnd ihr Wiedersehen. Neue stürmische Freudenrufe, als der Czar und der König selber einreiten; selbst die Rheinbündner stimmen mit ein; Alle fühlen, wie aus Schmach und Gräueln der junge Tag des neuen Deutsch- lands leuchtend emporsteigt. Während den König von Preußen sein tapferes Heer frohlockend umdrängt, steht nahebei — ein klägliches Bild der alten Zeit, die nun zu Grabe geht — Friedrich August von Sachsen entblößten Hauptes, mitten im Gewühle an der Thür des Königshauses. Der hat während der Stunden des Sturmes ängstlich im Keller gesessen, betrogen von den prahlerischen Verheißungen des Protectors noch bis zum letzten Augenblicke auf die siegreiche Rückkehr des Unüberwindlichen gehofft. Nun würdigen ihn die Sieger keines Blickes, sein eigenes Volk beachtet ihn nicht, vor seinen Augen wird seine rothe Garde von Friedrich Wilhelm's Adju- tanten Natzmer zur Verfolgung der Franzosen hinweggeführt. Mit naiver Freude wie ein Held des Alterthums schreibt Gneisenau die Siegesbot- schaft den entfernten Freunden in allen Ecken des Vaterlandes: „Wir haben die Nationalrache in langen Zügen genossen. Wir sind arm ge- worden, aber reich an kriegerischem Ruhme und stolz auf die wieder- errungene Unabhängigkeit.“ Dreißigtausend Gefangene fielen den Siegern in die Hände. Die Umzingelung der Stadt von den Auen her war bereits nahezu vollendet,