Der Sturm auf Leipzig. Die Opfer. 509 als die Elsterbrücke an der Frankfurter Straße in die Luft gesprengt und damit den Wenigen, die sich vielleicht noch retten konnten, der letzte Aus- weg versperrt wurde. Ein ganzes Heer, an hunderttausend Mann, lag todt oder verwundet. Was vermochte die Kunst der Aerzte, was die menschenfreundliche Aufopferung des edlen Ostfriesen Reil gegen solches Uebermaß des Jammers? Das Medicinalwesen der Heere war überall noch nicht weit über die Weisheit der fridericianischen Feldscheerer hinaus- gekommen, und über der wackeren, gutherzigen Leipziger Bürgerschaft lag noch der Schlummergeist des alten kursächsischen Lebens, sie verstand nicht rechtzeitig Hand anzulegen. Tagelang blieben die Leichen der preußischen Krieger im Hofe der Bürgerschule am Wall unbeerdigt, von Raben und Hunden benagt; in den Concertsälen des Gewandhauses lagen Todte, Wunde, Kranke auf faulem Stroh beisammen, ein verpestender Brodem erfüllte den scheußlichen Pferch, ein Strom von zähem Koth sickerte lang- sam die Treppe hinab. Wenn die Leichenwagen durch die Straßen fuhren, dann geschah es wohl, daß ein Todter der Kürze halber aus dem dritten Stockwerk hinabgeworfen wurde, oder die begleitenden Soldaten bemerkten unter den starren Körpern auf dem Wagen einen, der sich noch regte, und machten mit einem Kolbenschlage mitleidig dem Gräuel ein Ende. Draußen auf dem Schlachtfelde hielten die Aasgeier ihren Schmaus; es währte lange bis die entflohenen Bauern in die verwüsteten Dörfer heimkehrten und die Leichen in großen Massengräbern verscharrten. Unter solchem Elend nahm dies Zeitalter der Kriege vom deutschen Boden Ab- schied, die fürchterliche Zeit, von der Arndt sagte: „dahin wollte es fast mit uns kommen, daß es endlich nur zwei Menschenarten gab, Menschen- fresser und Gefressenel“ Dem Geschlechte, das Solches gesehen, blieb für immer ein unauslöschlicher Abscheu vor dem Kriege, ein tiefes, für minder heimgesuchte Zeiten fast unverständliches Friedensbedürfniß. Am 24. October besuchte König Friedrich Wilhelm seine Hauptstadt. Es drängte ihn am Grabe seiner Gemahlin zu beten, denn überall auf seiner wilden Kriegsfahrt war ihr Bild ihm zur Seite gewesen, und auch unter den Truppen hieß es immer wieder: warum durfte die Königin das nicht mehr erleben? Dann erschien er im Theater; das Heil Dir im Siegerkranz brauste durch den Saal, diesmal mit besserem Rechte als einst da das dünkelhafte Geschlecht der neunziger Jahre sich zuerst an den prächtigen Klängen weidete. Vor sieben Jahren am nämlichen Tage war Napoleon durch das Brandenburger Thor eingeritten, und welch ein Wandel seitdem! Wie hatte sich doch dieser verstümmelte Staat mit seinen fünf Millionen Menschen wieder aufgeschwungen auf die Höhen der Geschichte! Mochten die Männer der Kriegspartei von 1811 geirrt haben in der Wahl des Augenblicks, zu groß hatten sie nicht gedacht von ihrem Volke. Jetzt galt er wieder, der alte Wahlspruch Nec soli cedit! In jenen Tagen schrieb eine englische Zeitung: „Wer gab Deutschland das erste