558 I. 5. Ende der Kriegszeit. der Beschämung, das sie doch nicht los werden konnten, rächten sich die Pariser nach ihrer Weise durch Couplets und Caricaturen. Ihre ganze Liebenswürdigkeit wendete sich dem Czaren zu. Die be- rechnete Schmeichelei berauschte den glücklichen Sieger, der Einfluß Stein's sank von Tag zu Tag. Alexander wohnte im Palaste Talleyrand's, und der schlaue Hausherr fand der Bewunderung kein Ende für den ersten Mann des Jahrhunderts, der allein die Befreiung Europas vollendet habe. Die Behörden, die Gelehrten der Akademie und vor Allem die Damen schwan- gen wetteifernd ihre Weihrauchsfässer vor dem sanften, liebevollen „Engel des Friedens“. Alexander's Eitelkeit fühlte sich lebhaft geschmeichelt, als die Vorsteherin einer weiblichen Irrenanstalt ihm erzählte, daß die Zahl der aus unglücklicher Liebe erkrankten jungen Damen seit der Anwesen- heit des russischen Selbstherrschers bedenklich zugenommen habe. Der Czar gebärdete sich wieder als der mächtige Schirmherr der Völkerfreiheit und dachte die Welt durch seine Großmuth in Erstaunen zu setzen, zumal da sein Rußland unmittelbar von Frankreich nichts gewinnen konnte. Das englische Cabinet, voll höchster Eifersucht gegen Rußland, suchte jetzt eben- falls durch nachsichtige Schonung die Freundschaft der Franzosen zu gewin- nen. Oesterreich, das schon längst den Frieden um jeden Preis wünschte, steuerte in derselben Richtung. So stand denn Preußen bald völlig ein- sam mit seinem Verlangen nach rücksichtsloser Benutzung des Sieges. Die veränderte Stellung der Parteien im Lager der Coalition zeigte sich bereits bei den Verhandlungen mit Napoleon. Am 25. März end- lich hatte Caulaincourt — und immer noch in sehr unbestimmten, allge- meinen Ausdrücken — an Metternich geschrieben, daß er Vollmacht habe den Frieden zu unterzeichnen. Der Brief kam zu spät, die Entscheidung war gefallen. Sogleich nach ihrem Einzuge erklärten die Alliirten, daß sie nicht mehr mit Napoleon unterhandeln würden, und forderten den Senat auf eine vorläufige Verwaltung einzurichten. Diese provisorische Regierung verfuhr nach dem einfachen Grundsatze ihres Führers Talley- rand: „es ist nicht Jedermanns Sache sich von dem einstürzenden Ge- bäude begraben zu lassen“ und sprach unter nichtswürdigen Schmähungen die Absetzung des Imperators aus. Daß die tausende von Beamten und Rittern der Ehrenlegion allesammt alsbald ihres Eides vergaßen, war in dem neuen Frankreich selbstverständlich. Talleyrand meinte seine Zeit ge- kommen, hoffte im Namen des unmündigen Napoleon II. die Regentschaft zu führen; sobald er aber einsah, daß dieser Plan bei den Siegern keinen Anklang fand, stellte er sich sofort mit gewandter Schwenkung auf die Seite der Bourbonen und verständigte sich mit seinem kaiserlichen Gaste über die Restauration des alten Königshauses. Napoleon wurde, als er nach dem Falle der Hauptstadt in Fontaine- bleau anlangte, bald von seinen eigenen Marschällen verlassen; er fand den Muth nicht, durch einen freiwilligen Tod ein Leben zu beenden, das nun-