Erster Abschnitt. Der Wiener Congreß. Als König Friedrich Wilhelm im Herbste nach Wien abreiste, rechnete er auf einen Aufenthalt von drei Wochen. Aber volle neun Monate sollten vergehen von der ersten Conferenz der Bevollmächtigten der vier alliirten Mächte am 18. September 1814 bis zu der endgiltigen Unter— zeichnung der Schlußacte des Congresses am 19. Juni 1815. Wer hätte auch Kraft und Lust gefunden zur raschen Erledigung der Geschäfte? Die fünf Sinne forderten ihr Recht nach der krampfhaften Sorge und Un— ruhe dieser beiden wilden Jahrzehnte. Wie einst Paris nach dem Sturze der Schreckensherrschaft sich kopfüber in den Strudel des Genusses ge— stürzt hatte, so athmete das alte fürstliche und adliche Europa jetzt auf, froh seiner wiedergewonnenen Sicherheit. Der große Plebejer war ge- fallen, der einmal doch den Hochgeborenen bewiesen hatte was eines Mannes ungezähmte Kraft selbst in einer alten Welt vermag; die Helden des Schwertes verschwanden vom Schauplatze, mit ihnen die große Leiden- schaft, die unerbittliche Wahrhaftigkeit des Krieges. Wie Würmer nach dem Regen krochen die kleinen Talente des Boudoirs und der Antichambre aus ihrem Versteck hervor und reckten sich behaglich aus. Die vornehme Welt war wieder ganz ungestört, ganz unter sich. Wer hätte das gedacht, daß der greise Fürst von Ligne, vor langen Jahren der Löwe der Salons im königlichen Frankreich, nun am Rande des Grabes noch einmal allen Glanz und alle Pracht der alten hochadlichen Geselligkeit genießen und über den erlauchten Congreß, der wohl tanzte, aber nicht marschirte, geist- reich boshafte Epigramme schmieden würde? Sie kehrte freilich nicht wieder, die naive Unbefangenheit jener guten alten Zeit, die so bestimmt gewußt hatte, daß der Mensch erst beim Baron anfängt, daß die glückliche Einfalt des Pöbels von der Spötterei und den freigeisterischen Gedankenspielen der großen Herren niemals ein Wort erfahren kann. Dem neuen Geschlechte lag die Angst vor den Schrecken der Revolution noch in allen Gliedern; mitten in die rauschen-