Humboldt's Denkschriften vom 23. und 25. October. 635 dem europäischen Gleichgewichte gebrachtes Opfer; eine Theilung des Landes erscheint durchaus unannehmbar. Darauf erörtert Humboldt die Mainzer Frage und erklärt: Betrachten wir den Platz nur als nöthig für die Vertheidigung Deutschlands gegen Frankreich, so haben wir nur zu ver— langen, daß Baiern gar keinen Einfluß auf Mainz gewinne, „wenn dieser Staat nicht offen und ehrlich dem Deutschen Bunde beitritt und auf das Recht selbständiger Kriegführung nicht verzichtet". Dies unveräußerliche Recht der europäischen Macht Baiern hatte Wrede während der letzten Tage in dem deutschen Verfassungsausschusse prahlend verfochten. Hum— boldt aber fährt mit unverwüstlicher Mäßigung fort: sollte Baiern bessere Gesinnung gegen den Deutschen Bund zeigen, dann müssen wir suchen „diesen Hof zu gewinnen, statt ihn zu beargwöhnen“. Die Frage der Moselgrenze endlich ist eine rein statistische Frage; sie läßt sich leicht be— seitigen, wenn Oesterreich uns den Erfolg unserer Gebietsverhandlungen mit den kleinen deutschen Staaten verbürgt. Humboldt sah also in der Hofburg noch immer den treuen, leider etwas schwachen Freund, der durch Vernunftgründe in seinen löblichen Entschlüssen bestärkt werden mußte; er hoffte selbst die Baiern zu be— kehren, die bereits unverhohlen den Krieg gegen Preußen predigten; er wollte endlich, um nur Oesterreich bei guter Stimmung zu halten, Mainz aufgeben und auf das rechte Moselufer verzichten. Die Stadt Coblenz selber war allerdings in diesem Zugeständniß nicht inbegriffen. Nach zwei Tagen war die Stimmung des preußischen Cabinets schon weniger gemüthlich. Man hatte offenbar die englischen und österreichischen Schriftstücke unterdessen schärfer geprüft und wohl auch Einiges erfahren von dem vertrauten Verkehre zwischen Gentz und Talleyrand. Vielleicht mag der König selbst seinen Diplomaten bemerkt haben, die Zustimmung der Hofburg zu der Einverleibung Sachsens sei doch sehr unbestimmt ge- halten, und Lord Castlereagh's polnische Pläne gingen weit über Preußens eigene Wünsche hinaus. Genug, eine zweite Denkschrift Humboldt's an Hardenberg") verräth bereits lebhafte Besorgnisse; sie giebt ein sehr an- schauliches Bild von dem reichen Geiste ihres Verfassers, bringt in breiter Ausführung eine Ueberfülle feiner Gedanken, die einander gegenseitig das Licht vertreten, und gelangt schließlich doch nicht zu einem runden, klaren, unzweifelhaften Ergebniß. Humboldt prüft zuerst Castlereagh's Vorschläge und stellt nunmehr endlich den so nahe liegenden Gedanken auf, daß man die Grenzfrage und die Verfassungsfrage aus einander halten müsse. Den polnischen Verfassungsplänen des Czaren entgegenzutreten sei nicht räthlich; denn „Kaiser Alexander befindet sich gewiß in großer Verlegen- heit, wenn er ausführen will was er den Polen versprochen zu haben scheint, und die Mächte vermehren diese Verlegenheit, wenn sie seinen *) Humboldt's Denkschrift sur 1 mémoire de Lord Castlereagh, 25. Oct. 1814.