636 II. 1. Der Wiener Congreß. Absichten nicht allzu entschieden widersprechen. Unter diesem Gesichts— punkte betrachtet ist die geplante polnische Verfassung vielleicht sogar ein Gegengift gegen die Nachtheile, welche aus der übermäßigen Vergrößerung Rußlands entstehen.“ Ueber die Grenzfrage bemerkt er, bisher habe man immer nur die Warthelinie mit Thorn und Krakau gefordert, das gelegentlich geäußerte Verlangen nach der Weichselgrenze sei wohl niemals ernstlich gemeint gewesen. Kluge Mäßigung sei nothwendig um die Ge— fahr zu vermeiden „daß ein Bruch entstehe, und an Europa — d. h. vor Allem an Frankreich gegen Europa — appellirt werde. Frankreich wird sich der Streitfrage immer vornehmlich zu dem Zwecke bedienen um die Zwietracht zwischen den Cabinetten zu verewigen, gelegentlich Vortheil davon zu ziehen und nachher uns preiszugeben und sich mit Rußland zu verständigen, sobald das französische Sonderinteresse befriedigt ist.“ Dann betrachtet er Preußens eigenthümliche Stellung. Wir verlangen über Rußlands Angebot hinaus nur noch Thorn und einige halbdeutsche Striche; Oesterreich aber fordert das wichtige Krakau, das die Polen nie— mals preisgeben werden. Der Gewinn für Oesterreich ist also ungleich größer, während wir um geringer Vortheile willen Gefahr laufen uns mit Rußland zu überwerfen und in eine sehr peinliche Lage zu gerathen. Sehr bedenklich ist auch „die Weise, wie Oesterreich der Einverleibung Sachsens zustimmt. Denn statt laut und kühn zu sagen, daß die kaiserliche Regie— rung die Sache Preußens gegen Jedermann vertheidigen wird, stimmt sie nur mit Widerstreben, wie aus Gefälligkeit zu und will uns diese Gunst durch andere, sehr schmerzliche Opfer erkaufen lassen. Offen gestanden, es ist sehr zweifelhaft, ob wir nur unseren augenblicklichen Vortheil dem wirklichen und dauernden Interesse Preußens opfern, wenn wir in der polnischen Angelegenheit denselben Weg mit Oesterreich gehen. Man muß vielmehr zugeben, daß Preußen dann sein persönliches Interesse aufgiebt um die Sache Europas zu ergreifen. Dennoch wird Preußen immer den Weg der Grundsätze und niemals den der reinen Convenienz einschlagen.“ Wir verlangen aber, daß die verbündeten Mächte bei der Feststellung der von Rußland zu fordernden Grenzen auf Preußens schwierige Lage Rück— sicht nehmen; desgleichen daß sie „gegen alle anderen Mächte offen und kräftig die Sache Preußens und seiner neuen Erwerbungen vertheidigen; daß sie selber die Aufgabe übernehmen gewissenhaft die Verträge auszu— führen, welche uns eine vollständige Wiederherstellung und selbst eine angemessene Vergrößerung zusichern; daß sie uns endlich förmlich den Besitz der Landstriche verbürgen, wegen deren wir noch von Rußland ab— hängig sind.“ Wollen die Mächte diese Verpflichtungen nicht übernehmen, dann werden wir zwar nicht eine Politik befolgen, die wir verdammen, aber Preußen wird zu seinem großen Leidwesen sich genöthigt sehen „zuerst an seine Selbsterhaltung zu denken.“ Zum Schluß nochmals: wir müssen in der Verfassungsfrage nachgeben und nur die Warthelinie fordern; weigert