650 II. 1. Der Wiener Congreß. Unternehmen. Der Franzose hatte für jeden der kleinen Herren lockende Versprechungen bereit, und jeder von ihnen hoffte doch noch auf der großen Wiener Länderbörse wenigstens einige tausend Seelen zu gewinnen. Die Gesinnung des deutschen Kleinfürstenthums fand einen getreuen Ausdruck in den zahlreichen Denkschriften des Landgrafen von Hessen-Homburg, welche den einleuchtenden Satz ausführten: „da alle Nachbarmächte sich vergrößert haben“, so muß Homburg, um nicht von seiner historischen Machtstellung herabzusinken, nothwendig die Dörfer Ober-Ursel und Ober-Roßbach seinem Reiche einverleiben! Der darmstädtische Gesandte von Türkheim begründete sogar, inmitten dieser hoch-legitimistischen Gesellschaft, die Entschädigungs- ansprüche seines durchlauchtigen Herrn durch eine feierliche Berufung auf die unveräußerlichen droits de 'homme.) Wenn aber Talleyrand's Pläne gelangen, wenn Preußen weder am Rhein noch in Sachsen entschädigt wurde, so blieb mehr Land frei für die Herzenswünsche der Kleinen; darum standen sie alle ohne Ausnahme auf Frankreichs Seite, und der besiegte Feind erschien ihnen wieder als der großmächtige Protector Deutschlands. Das wüste Gezänk um Sachsen brachte alle anderen Arbeiten des Congresses in's Stocken. Der deutsche Verfassungsausschuß war schon längst unverrichteter Dinge auseinandergegangen. Dazwischen hinein spielten erbärmliche persönliche Ränke. Metternich versuchte den preußi- schen Staatskanzler bei Alexander zu verdächtigen, legte dem Czaren die antirussischen Noten vor, welche Hardenberg zu Beginn des Congresses geschrieben hatte — und was der Jämmerlichkeiten mehr ist. Trotz aller solcher Proben der österreichischen Freundschaft ließ sich der Staatskanzler von Metternich bereden, noch einmal zwischen Rußland und England- Oesterreich zu vermitteln. Er stellte am 23. November nochmals die alten Forderungen auf: die Warthelinie für Preußen, Krakau und Zamosz für Oesterreich — obgleich er durch den Befehl des Königs verpflichtet war sich nicht von Rußland zu trennen. Zum Glück kam ihm der Freiherr vom Stein zu Hilfe. Der große Mann hatte inzwischen eingesehen, daß er bisher allzu einseitig den polnischen Plänen des Czaren entgegengetreten war; nach seiner herrlichen unbefangenen Weise beschloß er sofort den begangenen Fehler zu sühnen und bot fortan seine ganze Kraft auf, um Sachsen für Preußen zu retten. Ihm war es zu verdanken, daß Alexander's Antwort ziemlich günstig aussiel. Der Czar versicherte (27. Nov.), daß er niemals den preußischen Bundesgenossen, der ihn so „kraftvoll, edel und ausdauernd unterstützt" habe, verlassen werde, und forderte ganz Sachsen für Preußen, Mainz für den Deutschen Bund; von seinen pol- nischen Ansprüchen gab er Thorn und Krakau auf, beide sollten als neu- trale freie Städte anerkannt werden. Durch diese Erklärung war die Mainzer Frage erledigt. Metternich *) Eingaben des Erbprinzen von Homburg an Humboldt, Türkheim's an Harden- berg (Jan. Febr. 1814).