680 II. 1. Der Wiener Congreß. unter allen deutschen Publicisten nur Zwei: Niebuhr, der sich über die deutsche Verfassungsfrage niemals aussprach, und Gentz, die Feder der Hofburg. Und wie fremd war doch selbst den besten Deutschen jener Tage der ruhige, gehaltene Nationalstolz eines großen Volkes. Auf der einen Seite ein fanatischer Haß gegen Frankreich, ein Haß, welchen Arndt noch nach dem Kriege als den heiligen Wahn, als die Religion unseres Volkes verherrlichte; auf der anderen eine ebenso blinde Bewunderung für das allein freie England, das allein unter allen heutigen Völkern von vielen herrlichen Namen leuchte — und dies aus dem Munde der Landsleute von Goethe, Stein, Blücher und Gneisenau! Als die Pläne der Welfen auf dem Congresse sich enthüllten, da gingen dem treuen Manne freilich die Augen auf, und er sagte in einer seiner schönsten Schriften, dem „Blick aus der Zeit in die Zeit“ frisch von der Leber weg dem englischen Kleinsinn und dem hannoverschen Dünkel harte Wahrheiten. Ueberall, auch in den Schriften der kundigsten Publicisten, wird als unumstößliche Wahrheit gepredigt, die Kleinstaaterei sei Deutschlands Zierde, sei der kräftige Fruchtboden unserer Freiheit und Cultur; die alte unselige Verwechslung von Freiheit und Vielherrschaft kehrt in den mannigfachsten Formen wieder. Aber da man mit dem Wasser der Kleinstaaterei auch das Feuer der nationalen Macht verschmelzen wollte, so war allen politischen Tausendkünstlern Thür und Thor geöffnet. Die handgreifliche Wirklichkeit der deutschen Einzelstaaten nöthigte die Publi- cisten von selbst zu nüchterner Selbstbeschränkung; hinsichtlich der Rechte der Landstände entstand bereits eine gewisse Uebereinstimmung der An- sichten, Alle forderten das Recht der Bitten und Beschwerden sowie die Steuerbewilligung, die Meisten auch Theilnahme an der Gesetzgebung. Dagegen bot die unfindbare Größe des deutschen Gesammtstaates ein be- quemes Versuchsfeld für dilettantische Schrullen und spielende Willkür; für das große Vaterland erschien keine Narrheit zu abgeschmackt. Da empfahl Professor Lips in Erlangen ein Kaiserthum, das unter den deutschen Fürsten aller fünf Jahre reihum gehen sollte: — wie der Plumpsack, meinte Görres. Da sendete ein hannoverscher Staatsmann dem Congresse den Entwurf einer deutschen Bundesacte, die sich be- reits im Artikel 7 zu dem geistreichen Satze erhob: „die große Frage, von welcher alles Uebrige abhängt, besteht aber darin: wie soll es künftig in Deutschland werden und welche Verfassung soll es erhalten? Hic nodus Gordius.“ Neben den verworrenen Träumereien der Patrioten ließen sich auch schon wieder die begehrlichen Wünsche des Particularismus vernehmen. Der geistreiche schwergelehrte Karl Salomo Zachariä, ein würdiger Ver- treter jenes bedientenhaften alten Professorenthums, das nun doch an- fing seltener zu werden, hatte sich bei seiner Berufung nach Heidelberg sofort aus einem unterthänigen Kursachsen in einen unterthänigen Badener