14 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. Weinstube von Lutter und Wegner die ganze Nacht hindurch ihre tollen Bacchanale feierten, oder wenn Lobeck und die Königsberger Philologen mit Rosenkränzen im Haar beim Griechenweine zusammenlagen und in hellenischer Sprache von den Helden Homers, von dem glücklichen Eiland der Phäaken redeten. Der gesellige Verkehr bot, bei aller Ziererei und Überschwänglichkeit, die mit unterlief, doch eine Fülle edler geistiger Ge- nüsse, von denen in der Langeweile und dem öden Prunk der heutigen Gesellschaft fast allein die Musik übrig geblieben ist. Die Frauen, die in jenen Jahren jung gewesen, erschienen noch im hohen Alter dem nach- wachsenden nüchterneren Geschlechte wie verklärt durch einen poetischen Zauber, sie gewannen alle Herzen mit ihrer unverwüstlichen Liebenswür- digkeit, ihrem feinsinnigen Verständnis für alles menschliche. Freilich verrieten sich auch schon die Spuren des beginnenden Ver- falls. Die Literatur war längst ins Kraut geschossen; sie bot sich den Lesern an, während einst die klassischen Dichter immer nur herausgesagt hatten, was der Nation schon halb bewußt in der Seele lag. Eine Masse trivialer Unterhaltungsschriften suchte die Neugier und die Sinnlichkeit der Lesewelt auszubeuten; tiefere Naturen verfielen, da sich in keinem Zweige der Dichtung ein nationaler Stil ausgebildet hatte, leicht auf will- kürliche, gewaltsame Experimente, so daß Goethe diese Jahre als die Epoche der forcierten Talente bezeichnete. Die modische Vermischung von Poesie und Kritik erleichterte dem unfruchtbaren Dilettantismus sich anmaßlich vorzudrängen. Wer in den Kreisen der Romantik verkehrte, die Schlag- wörter der Schule nachsprach und zuweilen an dem Plane eines Dramas oder eines Epos grübelte, der hielt sich für einen Dichter und vergaß das Bewußtsein seines Unvermögens über dem beliebten Troste: „das Dichten und Trachten“ mache den Künstler, und Rafael wäre, auch ohne Hände geboren, der größte aller Maler gewesen. Das frevelhaft miß- brauchte Wort Genie ward ein Freibrief für jede Narrheit, jeden Uber- mut. Bei dem geistreichen Spielen mit neuen Ideen und überraschenden Gesichtspunkten ging der schlichte Menschenverstand leicht zugrunde. Der Glaube an das schrankenlose Recht der souveränen Persönlichkeit, der all- gemeine Drang nur ja den anderen Menschen nicht zu gleichen, verführte die Einen zu sittlicher Willkür, Andere zur eitlen Selbstbespiegelung. Man belauschte mit nervöser Empfindsamkeit jeden Atemzug der eigenen schönen Seele. In den Briefen von Gentz und den Aufzeichnungen der Rahel Varnhagen spielt das Barometer die Rolle des geheimnisvollen Dämons, der dem Genie die finsteren und die lichten Stunden schenkt. Die Literatur beherrschte die Gedanken der Nation noch so vollständig, daß sogar die großen Gegensätze des politischen und des kirchlichen Lebens oft in gelehrten Streitigkeiten ihren Ausdruck fanden. So in den Kämpfen von Savigny und Thibaut, Voß und Stolberg. Wenn Gottfried Her- mann gegen Creuzer und die Symboliker zu Felde zog, so fühlte er sich