30 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. liche, das zu jeder Zeit Lebendige und vor allem das Heimatliche, die einfältige Kraft und Herzenswärme des unverbildeten germanischen We- sens; das Forschen in den Sagen und Liedern unseres Altertums galt ihm als „ein rechtes Einwandern in die tiefere Natur des deutschen Volkslebens“. Er fühlte, daß der Dichter, auch wenn er entlegene Stoffe behandelt, nur solche Empfindungen aussprechen darf, die in der Seele der Lebenden widerklingen, und blieb sich des weiten Abstandes der Zeiten klar bewußt. Niemals hat ihn die Freude an der Farbenpracht des Mit- telalters den protestantischen und demokratischen Gedanken des neuen Jahr- hunderts entfremdet. Derselbe Dichter, der so rührend von den Gottes- streitern der Kreuzzüge sang, pries auch den Baum von Wittenberg, der mit Riesenästen, dem Strahle des Lichtes entgegen, zum Klausendach hinaus- wuchs, und gesellte sich freudig zu den streitbaren Sängern des Befreiungs- krieges und beugte sich demütig vor der Heldengröße des neuerstandenen Vaterlandes: Nach solchen Opfern heilig großen Was gälten diese Lieder dir? Mit kräftigem Spotte kehrte er der Aftermuse der romantisch süßen Herren, der Assonanzen= und Sonettenschmiede den Rücken zu und hielt sich an den Wahlspruch der Altvorderen: „schlicht Wort und gut Gemüt sind das echte deutsche Lied.“ Die anschaulichen, volkstümlichen Aus- drücke strömten dem Sprachgewaltigen von selber zu. So leicht erklangen seine ungekünstelten Verse, so frisch und heiter schwebten seine Gestalten dahin, daß die Leser gar nicht bemerkten, wie viel Künstlerfleiß sich hinter der tadellosen Reinheit dieser einfachen Formen verbarg, wie tief der Dichter in die Schachte der Wissenschaft hatte hinabsteigen müssen bis ihm Klein Roland und Taillefer, Eberhard der Rauschebart und der Schenk von Limburg so vertraut und lebendig wurden. Für seine Erzählungen wählte er mit Vorliebe die dem leidenschaftlichen germanischen Wesen zusagende Form der dramatisch bewegten Ballade, nur selten, wo es die Natur des Stoffes gebot, die ruhig berichtende, ausführlich schildernde südländische Romanze. Nicht die Begebenheit war ihm das Wesentliche, sondern ihr Widerschein in dem erregten Menschenherzen. Jede Falte des deutschen Gemüts lag ihm offen, und wunderbar glücklich wußte er zuweilen mit wenigen anspruchslosen Worten ein Herzensgeheimnis un- seres Volkes zu offenbaren. Einfacher als in dem Gedichte von dem treuen Kameraden ist nie gesagt worden, wie den streitbaren Germanen seit der Cimbernschlacht bis zu den Franzosenkriegen im Schlachtgetümmel immer zu Mute war: so kampflustig und fromm ergeben, so liebevoll und so treu. Die Kraft der Empfindung drängte sich auch in seinen erzählenden Dichtungen so stark hervor, daß manche Gedichte, die er selber Balladen nannte, bald als Lieder in den Volksmund übergingen. Denn seinen