32 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. Gedanken; er sang, wie einst die ritterlichen Dichter mit den Goldharfen, fast allein „von Gottesminne, von kühner Helden Mut, von lindem Liebessinne, von süßer Maienblut". Auch in seinen Tragödien verherr- lichte er mit Vorliebe die zähe Treue altdeutscher Freundschaft; ihnen fehlt die fortreißende Macht der dramatischen Leidenschaft. An das mäch- tige politische Pathos seines Lieblings Walther von der Vogelweide reichten seine vaterländischen Gedichte nicht heran; der prometheische Drang, die höchsten Rätsel des Daseins, das Woher und Wohin der Menschheit zu ergründen, berührte sein ruhiges Gemüt selten. Darum wollte Goethe von den Rosen und Gelbveigelein, den blonden Mädchen und trauernden Rittern des schwäbischen Sängers nichts hören; er verkannte, daß ihm selber in der Lieder= und Balladendichtung niemand sonst so nahe ge- kommen war wie Uhland, und meinte herbe, in alledem liege nichts das Menschengeschick Bezwingendes. Die Deutschen aber hatten sich längst im Stillen verschworen, den Altmeister zu behandeln nach seinem eigenen Worte: wenn ich Dich liebe, was geht's Dich an? Der treue Schwabe wußte, wie unmöglich es ist einen Meister seines Irrtums zu überführen. Er ließ sich durch die Ungerechtigkeit des Alten in seiner Liebe nicht be- irren; er ward nicht müde, dem Greise seine Sängergrüße zu senden und der Nation zu erzählen, wie dieser Königssohn einst in goldner Frühe das schlummernde Dornröschen, die deutsche Poesie erweckte, und wie das steinerne Laub am Straßburger Münster rauschte, als der Dichterjüng- ling die Turmschnecken hinaufstieg, „dem nun ein halb Jahrhundert die Welt des Schönen tönt". Obwohl der Schweigsame nach seinem dreißigsten Jahre nur noch einzelne Gedichte veröffentlichte und sich begnügte als geistvoller Forscher und Sammler an der großen Arbeit der Wiederentdeckung unserer Vor- zeit teilzunehmen, so wuchs sein Dichterruhm doch von Jahr zu Jahr. Die Lieder seiner Jugend konnten nicht veralten. Hochgebildet und doch bürgerlich unscheinbar; begeistert für die alte Herrlichkeit des Reichs und das österreichische Kaisergeschlecht, und doch ein Demokrat, dem die „Für- stenrätt und Hofmarschälle mit trübem Stern auf kalter Brust“ immer verdächtig blieben; im politischen Kampfe furchtlos und treu, wie es der Wappenspruch des Landes fordert, bis zum trotzigen Eigensinne — so erschien er den Schwaben als der rechte Vertreter der Landesart, als der beste der Stammgenossen. Sie hoben ihn auf den Schild und rühmten: „jedes Wort, das der Uhland gesprochen, ist uns gerecht gewesen." Eine Schar von jungen Poeten folgte dem Meister nach und nannte sich bald selbst die schwäbische Dichterschule. Hier zuerst in der Geschichte der neuen deutschen Dichtung ward der Versuch einer landschaftlichen Sonderbildung gewagt, doch es war ein durchaus harmloser Partikula- rismus. Nichts lag diesen Dichtern ferner als die Absicht sich loszureißen von der gemeinsamen Arbeit der Nation; sie fühlten sich nur recht von