Gagerns Abberufung. 179 heimfallen; sogar die Auswanderung dachte er der Aufsicht des Bundes— tages zu unterwerfen und sendete pflichteifrig „im Dienste der menschlichen Gattung“ einen Agenten nach Amerika zur Beobachtung dieser neuen so- zialen Erscheinung, deren Bedeutung der geistreiche Mann früher durch- schaut hatte, als die meisten der Zeitgenossen. Oft konnten die Hörer nur mühsam ihren Ernst behaupten, wenn er in seinen gelehrten, von Zitaten und Anspielungen strotzenden Reden alle die reichspatriotischen Phrasen der Regensburger Tage wieder ausspielte, alle die Schnirkel und Schnörkel des heiligen Reichsrechts, bis herab zu dem großen gebratenen Ochsen des Krönungsfestes, zur Schau stellte. Kein Mißerfolg störte den Gutmütigen in der Zuversicht seiner patriotischen Hoffnungen. Als der Bundestag im Sommer 1817 zum ersten Male seine Ferien begann, hielt der luxemburgische Gesandte eine hochpathetische Schlußrede zum Preise der Bundesverfassung und rief begeistert: „Dieser Bund ist minder fürch- tend als furchtbar!“ Den unzufriedenen Liberalen hielt er die Frage ent- gegen: „Was wir gewonnen haben? Daß die Mutter das Kind heiterer unter ihrem Herzen trägt, der Sorge und Angst enthoben einen Sklaven zu erziehen, sondern im Vorgefühle, daß sie einen freien Mann dem Vater- lande darbringen wird!“ Ludens Nemesis aber antwortete mit der bitteren Gegenfrage: „Was wir verloren haben? Den Glauben an die Redlich- keit aller Häupter und Führer!" Es konnte nicht fehlen, daß die nebelhafte Begeisterung des Reichs- patrioten zuweilen mit der handfesten Wirklichkeit des deutschen Partiku- larismus hart zusammenstieß. So bei der Besprechung des Art. 18 der Bundesakte. Der Artikel verhieß den deutschen Untertanen die Frei- zügigkeit, vorausgesetzt, daß „ein anderer Bundesstaat sie erweislich zu Untertanen annehmen wolle“. Von dieser leeren Phrase, die in der Tat wie Hohn klang, behauptete Gagern, sie begründe ein allgemeines deutsches Bürgerrecht; dies Bürgerrecht sei aber nur dann gesichert, wenn alle Deutschen ihrer Wehrpflicht in diesem oder jenem Bundesstaate genügen dürften: „das Vaterland wird hier wie dort verteidigt!““ Welch eine Zumutung an Preußen, so lange hier allgemeine Wehrpflicht, dort Stell- vertretung oder Werbung, hier neunzehnjährige, dort sechsjährige Dienst- zeit galt! Da Goltz diese Bedenken hervorhob, erwiderte Gagern harmlos: warum solle der Bund nicht bestimmen, daß etwa mit dem vollendeten siebenundzwanzigsten Jahre die Hauptkriegspflicht jedes Deutschen als er- füllt zu betrachten sei? — und fügte dann mit dem ganzen Stolze eines Luxemburgers hinzu: „die Abänderung dieser oder jener Spezial-Muster- rolle steht fürwahr in keiner Vergleichung mit den wesentlichsten National- berechtigungen!“ Natürlich blieb Goltz standhaft, und der in kindlicher Unschuld unternommene Angriff auf die Grundfesten der preußischen Heeres- verfassung ward abgeschlagen. Trotz alledem betrachtete Hardenberg seinen alten Wiener Genossen noch immer mit behaglicher Ironie und befahl 12·