200 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates. sein Name auch draußen in den Kleinstaaten, wo man sich sonst um Preu— ßens Männer und Dinge wenig kümmerte, überall mit Achtung genannt wurde, und blieb dabei doch ein Mann der Geschäfte, ein gründlicher Kenner des Landbaus und der Gewerbe, ein tatkräftiger Beamter, der die gute Schule des trefflichen alten Provinzialministers von Schrötter nicht verleugnete und, wenn es galt, rücksichtslos, ja despotisch durchgriff. Fast seine gesamte Dienstzeit hatte er in der Verwaltung seiner altpreußischen Heimat zuge— bracht, kein Bauernhof der Salzburger Exulanten in Litauen und keine Fischerhütte auf den Dünen der kurischen Nehrung war ihm unbekannt. So, mit dem zweifachen Stolze des Kantianers und des gewiegten Prak— tikers schaute er verächtlich auf die staubige Weisheit des grünen Tisches nieder, und da er die preußischen Staatsmänner sämtlich, Stein so gut wie Wittgenstein, auf der Wage seines kategorischen Imperativs allzu leicht befand, so überschüttete er sie alle, sehr wenige ausgenommen, mit der ätzenden Lauge eines grausamen Tadels, der zu Kants menschenfreund— licher Weisheit wenig stimmte. Männer tuen uns not, so wiederholte er beständig, die von der Macht der Ideen ergriffen sind, Männer, die vor dem Volke stehen und mit ihm leben! Die religiöse Erregung der Kriegsjahre ließ seinen durchaus kritischen Geist ebenso kalt wie die vater— ländische Schwärmerei der Teutonen, denn in der „Nationalität“ wollte er niemals mehr sehen als eine blinde Naturgewalt, die von der „Idee“ des Staates gebändigt werden müsse. Sein Programm hatte er schon vor Jahren in dem sogenannten Poli— tischen Testamente Steins niedergelegt. Diese bisher nur einigen hohen Be— amten bekannte Denkschrift wurde eben jetzt (1817) von unbekannter Hand, schwerlich ohne Vorwissen des Verfassers, im Weimarischen Oppositions— blatte veröffentlicht und fand den lauten Beifall der süddeutschen Liberalen. Ein abgesagter Feind aller Adelsvorrechte, hielt Schön für unzweifelhaft, daß die Verheißungen jenes Testaments — Volksvertretung für alle aktiven Staatsbürger, Aufhebung der gutsherrlichen Polizei und der Patrimonial- gerichte — den Wünschen der gesamten Nation entsprächen, und schloß seine heftigen Ausfälle gegen die Menschen, „die das Volk in den Maschinen- dienst vor dem Jahre 1806 zurückzwingen wollen“, gern mit dem Ausruf: VoX populi vox Dei. Auch sein fanatischer Haß gegen Rußland kam seinem Rufe in der liberalen Welt zu statten. Wie oft wünschte er sich, in seinen Briefen an Hardenberg, einen fröhlichen Krieg wider diese Barbaren, „die auf der untersten Stufe der Entwicklung, nur bei den Prolegomenen stehen“; als er dem Staatskanzler einst das Gerücht von einem Mord- anschlag gegen den Zaren meldete, sprach er triumphierend seine Freude aus, „daß dieses Volk sich selbst so tief lästert und von sich Dinge ver- breitet, die die höchste Schande jedes Volks ausdrücken. Gott sei gelobt!“) Bei seinen altpreußischen Landsleuten stand er in hohem Ansehen, obwohl *) Schön an Hardenberg, 14. Febr. 1816, 26. Sept. 1818, 1. Nov. 1819.