298 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. Friedrichs des Großen vom Hohentwiel wieder in die Freiheit zurückkehrte; selbst dem groß angelegten politischen Kopfe Spittlers waren die Gedanken des heimischen Staatsrechts dermaßen in Fleisch und Blut gedrungen, daß er alle Verfassungen der Geschichte unwillkürlich nach dem Maße der schwäbischen Freiheit beurteilte. Diese Liebe des Volks verdankte der alt— württembergische Staat vornehmlich seinem strengbürgerlichen Charakter. Hier in dem Lande der Städtebünde und der Bauernkriege, auf dem üppigsten Boden des deutschen Sondergeistes ging auch der Adel von jeher seines eigenen Weges. Er erwarb sich die reichsunmittelbare Freiheit und verschmähte die Teilnahme, als das Land Württemberg im Jahre 1514 mit Herzog Ulrich sein ständisches Grundgesetz, den Tübinger Vertrag, vereinbarte; nur in dem Hof- und Staatsdienste des Hauses Württem— berg erschienen die schwäbischen Reichsritter häufig als bevorzugte Gäste. Den Landtag des Herzogtums bildeten allein die Prälaten der lutheri— schen Landeskirche und die von den Stadträten erwählten Vertreter der Städte und Amter — eine bürgerliche Oligarchie, im kleinen ebenso mächtig wie die Generalstaaten der niederländischen Republik und wie diese beständig im Kampfe mit einer unfertigen monarchischen Gewalt. Der Herzog schaltete als absoluter Herr über seinem großen Kammergute, dessen reicher Ertrag in ruhiger Zeit die Ausgaben des Hofes und der Regierung vollauf deckte. Geriet er durch Verschwendung oder Kriegs- nöte in Schulden, so erbat er von dem Landtage die Bewilligung von Steuern und erlangte sie nur wenn die ständischen Freiheiten in einem vertragsmäßigen Landtagsschlusse abermals bestätigt und erweitert wurden. In den meisten anderen altständischen Territorien benutzte die aufstrebende monarchische Gewalt die Ausschüsse der Landstände um die Macht des Landtags von innen heraus zu zerstören. Auch der württembergische Land- tag wurde im achtzehnten Jahrhundert nur noch selten berufen; aber seine Macht ging nicht auf den Herzog über, sondern auf die beiden Ausschüsse der Stände. Der kleine Ausschuß in Stuttgart war in Wahrheit der Landesherr. Er tagte beständig und ergänzte sich selbst, er erhob und verwendete die Einnahmen der landschaftlichen Steuerkasse nach freiem Ermessen, versorgte die Kinder und Vettern des bürgerlichen „Herren- standes“, die Stockmaier, Pfaff und Commerell in den ständischen und städtischen Amtern. Erschienen dann die dem Herzog und der Landschaft zugleich verpflichteten Geheimen Räte um die Rechnungen der Steuer- kasse abzuhören, so wurde der rote Eilfinger Wein nicht gespart; im Not- falle tat man auch einen Griff in die berüchtigte geheime Truhe des Ausschusses. Sie diente zu allen den Künsten der Korruption, deren die Oligarchie nie entbehren kann, zur „wohlmeinenden Entfernung eines ungebärdigen, alle Mißbräuche rügenden“ Beamten oder auch zum Kampfe wider den Landesfürsten. Unerschütterlich verteidigte der Ausschuß die ver- briefte Landesfreiheit gegen jede Regung monarchischen Eigenwillens und