394 II. 7. Die Burschenschaft. dieser Übergangszeit zu entladen pflegte. Steffens urteilte über die fratzenhaften Unarten der Turner allzu hart; seine feine ästhetische Natur verkannte, wie selten ein echter Germane ohne ein vollgerütteltes Maß jugendlicher Roheit zu männlicher Kraft und Haltung gelangt; auch fehlte ihm der behagliche Humor, der doch nötig war um den ehrenwerten Kern hinter Jahns Wunderlichkeit herauszufinden. Aber das schwere sittliche Gebrechen der Turnplätze, den heillosen Hochmut des jungen Geschlechts erkannte er richtig, und die ehrliche Gesinnung des feurigen Redners, der im Frühjahr 1813 die Breslauer Jugend durch Wort und Beispiel begeistert hatte, ließ sich nicht in Abrede stellen. Wackere Männer standen hüben und drüben, Freunde und Brüder gingen im Zorne aus— einander. Karl von Raumer trennte sich von seinem Schwager und Waffen— gefährten Steffens; sein Bruder Friedrich und dessen Fachgenosse der Historiker Karl Adolf Menzel hielten die Partei des Anklägers. Unter den Verteidigern der Turnplätze tat sich außer dem Pädagogen Harnisch namentlich Passow hervor, der gelehrte Lexikograph. Seine freimütige aber auch sehr leidenschaftliche Schrift „Turnziel“ stellte der Turnkunst geradewegs die Aufgabe „der allmählichen Entwicklung zu den höchsten Zielen der Menschheit“; dies sei ein edlerer Zweck als die Ausbildung von „Söldnern und Mietlingen für die Blutbank der Willkür“. Wenn die Alten mit so feierlichem Ernst von der kulturfördernden Macht des Recks und des Barrens redeten, dann konnte die Jugend allerdings nicht mehr bezweifeln, daß sich die Welt um sie drehe. Durch Steffens Auftreten wurden einige ängstliche Leute in Berlin, welche schon längst unheimliche demagogische Zwecke hinter der Turnerei gewittert hatten, zu neuen Angriffen ermutigt: der um die Armenpflege hochverdiente Oberlehrer Wadzeck, der Schriftsteller Scheerer und nicht zuletzt der berüchtigte Cölln, dessen Schmähschrift „die Feuerbrände“ noch von den Zeiten des Tilsiter Friedens her in üblem Andenken stand. Die Gehässigkeit solcher Denunziationen vergiftete nun vollends den unbe— fangenen Sinn der Jugend. Jahn polterte wider „diese vielköpfige Otter, dies Gezücht, das sich mit Recht Schriftsteller nennt, weil es wirklich an— derer Schriften nachstellt". Seine Jungen sangen ein Trutzlied mit dem eleganten Wortspiele „nicht zecken und nicht scheeren soll uns ein fauler Bauch“ und nannten die Holzköpfe, die sie auf der Hasenhaide mit dem Ger herunterschossen, Wadzecks. Eine krankhafte, völlig ziellose politische Aufregung nahm auf den Turnplätzen mehr und mehr überhand. Mit Bedauern sah Altenstein diese Wendung. Er wußte, daß der Unwille des Königs täglich zunahm, und schrieb dem Staatskanzler besorgt: „wenn schon das Turnen so mißbraucht und so falsch aufgefaßt wird, so verliert man die Hoffnung auf Größeres, auf die Verfassung u. a.““) So lange als *) Jahn an Schuckmann, Sept. 1819. Altenstein an Hardenberg, 15. Sept. 1818.