454 II. 8. Der Aachener Kongreß. praktisches Ergebnis bringen. Es hieß die Dinge auf den Kopf stellen, die alten stolzen Traditionen der Monarchie verlassen, wenn der Staats— kanzler, statt der unerfahrenen öffentlichen Meinung die Richtung zu geben, selber mutlos und planlos von seinen Untergebenen Rat erwartete; so ward ihm jedes neue Gutachten zu einer neuen Verlegenheit. Er ver— zehrte sich vor Ungeduld, klagte bitter über die Verzögerung seines Lieb— lingsplans, und doch hatte er bisher noch nicht einmal die Feder ange— setzt um mit dem Monarchen und sich selber mindestens über die Grund— lagen des Verfassungsentwurfs ins reine zu kommen. Unter den Freunden der Reform nahmen Erbitterung und Entmutigung überhand. Vincke hielt dem Staatskanzler vor: was müsse dies Volk empfinden, wenn andere Regenten, „die nichts verheißen haben“, dem unseren voraneilen; und Zerboni schrieb verzweifelnd: „Ich gehe jeden Abend mit dem großen Momente zu Bett, der für Preußen eingetreten ist, und erwache jeden Morgen mit dem fressenden Kummer, daß er ungenützt vorübergehen wird.““) Mit den Rheinländern kam Hardenberg bald auf guten Fuß, sein heiteres wohlwollendes Wesen gefiel allgemein; er gewann den Eindruck, daß die beiden Provinzen im ganzen musterhaft verwaltet wurden und bei allem Mißmut keineswegs ernstlich an einen Abfall dachten. Nur die üblen Folgen des unbedachten Verfassungsversprechens bereiteten ihm auch am Rhein manche schwere Stunde. Unter den zahlreichen Depu- tationen, die er in Engers empfing, erschienen auch Graf Nesselrode, Freiherr von Hövel und andere Abgesandte des rheinischen Adels. Sie überreichten eine gründliche, von dem hochkonservativen Konvertiten Schlosser verfaßte „Denkschrift die Verfassungsverhältnisse der Lande Jülich, Cleve, Berg und Mark betr.“, der sich ähnliche Eingaben des westfäli- schen Adels anschlossen. Die Schrift enthielt manche treffliche Grund- sätze, welche deutlich erkennen ließen, daß Stein dabei mitgewirkt hatte; der Adel war bereit, statt einzelner bevorzugter Städte den gesamten Bürgerstand, statt des Landadels alle landbauenden Klassen zur Vertretung zuzulassen. Doch standen daneben vieldeutige Verwahrungen gegen die „allverwirrende Gleichheit der französischen Revolution“ und das ganz ungerechte Verlangen nach Berufung der alten Stände, um mit ihnen die Neuerungen vertragsmäßig festzustellen! Der Staatskanzler antwortete freundlich, doch ausweichend: „nur aus einer gründlichen Würdigung früherer Verhältnisse und jetziger Bedürfnisse wünscht unsere Regierung die Verfassung hervorgehen zu sehen.“““) Die schwere Frage, wie das neue Recht zu dem alten sich verhalten solle, blieb also noch immer ungelöst. Am Hofe aber fand der Adel einen Freund, dessen Einfluß bald stärker *) Zerboni an Klewitz, 8. März 1818. *) Hardenberg an Nesselrode, 3. März 1818.