Die Koblenzer Adresse. 455 hervortreten sollte: der Kronprinz sprach dem Freiherrn von Hövel sein besonderes Wohlgefallen über die Denkschrift aus. Noch unwillkommener als diese Adelsgesandtschaft, die immerhin die Klassenanschauungen eines mächtigen Standes vertrat, erschien dem Staats- kanzler der Besuch einer zweiten Deputation, welche lediglich durch eine phantastische Schrulle zusammengeschart war und für die Unreife der politischen Bildung des Rheinlandes ein klägliches Zeugnis ablegte. Seit der Unterdrückung des Rheinischen Merkurs hatte Görres bittere Tage verlebt; die Pension, die ihm Hardenberg verschaffte, konnte ihn über den Müßiggang eines zwecklosen Daseins nicht trösten. Er bemühte sich redlich sein heißes Blut zu bändigen, sprach stets milde und versöhnlich wenn Abgesandte der Burschenschaft sich bei ihm Rates erholen wollten. Zu- letzt war die Natur doch stärker als die guten Vorsätze. Dies Preußen, das er einst so hoch gepriesen, ward ihm allmählich tödlich verhaßt, und alle jene törichten Wünsche des rheinischen Partikularismus, welche die kirchliche Parität und die Staatseinheit zugleich bedrohten, erschienen ihm jetzt berechtigt. Ganz so urteilslos wie die Masse seiner Landsleute polterte er wider die fremden protestantischen Beamten und verlangte, daß die Rheinlande ihren Anteil an den Staatsausgaben nach dem Gut- dünken ihrer Provinziallandtage selber aufbringen sollten. Er fand es entsetzlich, daß der König einen Lehrer, der in einer gemischten Schule die Reformation roh beschimpft hatte, verdientermaßen absetzen ließ, und be- teiligte sich sogar an einer Petition, welche von der Krone forderte, daß in Zukunft das Referat über das Schulwesen in der Koblenzer Regierung nur einem Katholiken übertragen würde. In wiederholten Eingaben an den König und den Staatskanzler gebärdete er sich als der natürliche Wortführer des Rheinlands, obschon er wissen mußte, daß sein Merkur am Rheine niemals viele Leser gefunden hatte. Ehe er es noch selber recht bemerkte, ward er durch seinen rheinischen Provinzialstolz zu kleri- kalen Anschauungen verleitet, die allerdings dem innersten Wesen seiner phantastischen Natur entsprachen. Nicht lange, so begann er sogar das verrottete Ständewesen der geistlichen Kurfürstentümer zu bewundern, das er in seiner Jugend mit so wohlverdientem Hohne überschüttet hatte, und meinte in den drei Kurien des kurtrierischen Landtags die angeblichen drei Urstände der Germanen, Lehr-, Wehr= und Nährstand zu erkennen. Als die Koblenzer nunmehr den Staatskanzler an das Verfassungs- versprechen zu erinnern beschlossen, gab Görres der Adresse die wunder- liche Fassung: man bitte um „Wiederherstellung der Freiheiten der Land- schaft und der uralten wahrhaft deutschen Verfassung“. In solcher Ge- stalt wurde das übrigens bescheidene und unverfängliche Aktenstück von mehr als dreitausend Bürgern und Bauern der Umgebung unterzeichnet; die meisten dachten sich dabei nur das eine, daß ein Landtag von Ein- geborenen künftighin den Preußen freundlich auf die Finger klopfen solle.