456 II. 8. Der Aachener Kongreß. Mit dieser Adresse erschien Görres am 15. Januar 1818 bei Hardenberg, hinter ihm ein wundersamer Aufzug, nicht unähnlich jenen verkleideten Chinesen und Chaldäern, welche der tolle Anacharsis Cloots einst als „Deputation des Menschengeschlechts“ der französischen Nationalversamm- lung vorführte. Die Koblenzer Deputation wollte „eine Ständeversamm- lung im Kleinen“ vorstellen; Geistliche und Lehrer vertraten den Lehr- stand, Edelleute, Landwehrmänner und Richter den Wehrstand, ein Landrat nebst mehreren Bürgern und Bauern den Nährstand. Der Staatskanzler hörte den Redner, der in pathetischen Worten das Lob der alten kurtrier'schen Landtage sang, den merkwürdigen Nährstands-Landrat sowie die übrigen Mitglieder freundlich an; er verhehlte jedoch den Ab- geordneten nicht, daß er selber weit liberaler denke als sie: die einfache Wiederherstellung überwundener Zustände sei nicht möglich. Nachher erzählte Görres die Geschichte dieser Audienz — dieses „Maifeldes des Frankenstammes“ — in einer musterhaft ungeschickten Flugschrift, und mit schmetternden Fanfaren feierte die liberale Presse den großen Tribunen: nun habe das freie Rheinland der Krone Preußen seine Magna Charta überreicht! Hardenberg, der seinen Mann kannte, nahm die Blätter dankend an. Am Hofe aber regte sich die reaktionäre Partei, um den Vorfall gegen den abwesenden Staatskanzler auszubeuten. Der schreiende Ton der Schrift mißfiel dem Könige, nicht minder die gehässigen Anklagen wider den preußischen Staat und der widerwärtige rheinländische Dünkel, der die alten Provinzen wegwerfend als halbbarbarische Kolonistenlande behandelte. Der Kronprinz ließ die Flugschrift mit einigen tadelnden Worten ihrem Verfasser zurückschicken, und auf Befehl des Monarchen wurde eine Untersuchung eingeleitet. Es stellte sich heraus, daß die Adresse durch die Schöffen in den Gemeinden des Regierungsbezirks ver- breitet worden war. Nur zwei der befragten Gemeinden hatten die Teilnahme verweigert: die Bürgerschaft von Hatzenport an der Mosel, weil sie mit der gegenwärtigen Verfassung zufrieden sei, und ein Ort auf dem Hunsrücken, weil die Bauern dort mit gutem Grunde befürch- teten, daß die Adresse mit der alten trierschen Verfassung auch die Zehnten zurückbringen würde. Als ein Landrat eingeschritten war, hatte ihn die Regierung in Koblenz zurechtgewiesen, da „wir nicht verhindern wollen, daß Untertanen ihre Wünsche dem Landesherrn vortragen“; sie „schmeichelte sich damit“ — wie ihre Rechtfertigungsschrift sagte — „ganz im Geiste der liberalen Gesinnungen unseres Gouvernements ge- handelt zu haben.““) Der König dachte anders; er zeigte sich sehr aufgebracht, denn er wollte die alte fridericianische Vorschrift, die nur dem Einzelnen das Recht der *) Eingabe der Koblenzer Regierung vom 20. Mai 1818.