Karl Sand. 521 Freistaats erfüllte ihm die Seele, und nun wies Luden durch seinen Aufsatz gegen Kotzebue dem wilden Drange ein bestimmtes Ziel; der frivole Schalk erschien dem tugendstolzen Schwärmer wie das Urbild aller Sünden des alten Geschlechts, obwohl Sand von ihm nichts kannte als ein paar Lustspiele und einige Wochenblattsartikel. In solcher Stimmung kam der Unglückliche nach Jena. Eine abstrakte Begeisterung für Helden— tum und Opfertod erfüllte ihm die Seele, und er mahnte einen Freund: „Unser Tod ist Heldenlauf; kurzer Sieg; früher Tod! Tut nichts, wenn wir nur wirklich Helden sind. Früher Tod bricht nicht die Siegesbahn, wenn wir nur auf ihr als Helden sterben.““) Dann geriet er unter das Joch Karl Follens und sog mit Begierde die Mordlehren der schwar- zen Brüder ein. Jetzt endlich — so schrieb er bald nachdem er Follen kennen gelernt — habe er ein Ziel für sein Leben gefunden: „aus eige- ner Überzeugung, in eigener Art leben wollen mit unbedingtem Willen, im Volke den reinen Rechtszustand, d. i. den einzig gültigen, den Gott gesetzt hat, gegen alle Menschensatzung mit Leben und Tod zu vertei— digen“. Sein geistiges Vermögen reichte nicht aus um den schülerhaften Denkfehler, der dem Moralsysteme Follens zugrunde lag, zu durchschauen. Er brachte es über sich, sein Gewissen gleichsam zu teilen, blieb im täglichen Leben treu, wahrhaft, hilfreich, nur gegen die Tyrannen schien ihm alles erlaubt. Seine theologischen Studien, die er über dem Verbindungsleben arg vernachlässigt hatte, boten ihm doch die Mittel, um die Lehre der Ge— wissenlosigkeit auf religiöse Gründe zu stützen; aus der Bibel und dem Thomas a Kempis wähnte er den Satz herauszulesen: „wenn der Mensch die Wahrheit so erkannt hat, daß er vor Gott sagen kann: das ist wahr — so ist es auch Wahrheit, wenn er es tut!“ Und als er nun täglich „den Meister der Vaterlandserretter“, Karl Follen mit beredtem Munde die sittliche Notwendigkeit des Meuchelmordes preisen hörte, da kam ihm der Gedanke sich selbst zu opfern für die gute Sache und zu erproben, ob er das Volk durch den Schrecken einer heiligen Mordtat aus seinem Schlummer aufrütteln könne. Kalt, sicher, ganz mit sich einig traf er seine Vorbereitungen; er hatte sich längst gewöhnt jeden Vertreter der gegnerischen Ansicht als einen Todfeind zu betrachten, er lebte im Zustande des Krieges mit den Ge— walthabern und ihren Helfershelfern, er war berechtigt Kotzebue mit dem Dolche zu strafen, „weil er das Göttliche in mir, meine Überzeugung unterdrücken will“. Die niedrige Feigheit einer Gewalttat gegen einen wehrlosen Greis kam ihm ebensowenig zum Bewußtsein, wie die sinn- lose Torheit eines Verbrechens, das an der bestehenden politischen Ord- nung schlechterdings nichts bessern kornte. Auch die Todsünde des neun- zehnten Jahrhunderts wirkte mit, jener impotente Größenwahnsinn, der 7) Sand, Stammbuchblatt für einen Freund im Vogtlande, Jena 21. Juni 1818.