Hardenberg gegen die alten Stände. 595 berg selbst die Antwort diktiert hätte. Auch Ancillon zeigte sich dem Plane des Staatskanzlers noch günstig; er hatte soeben in seinem Buche „über die Staatswissenschaft" die Vorzüge des Zweikammersystems lebhaft em- pfohlen. Selbst Schuckmann war bisher noch immer für den Verfassungs- plan aufgetreten. Sobald sich die Nachricht, daß Humboldt in einem neuen Verfassungs- ausschuß tätig sei, im Publikum verbreitete, begannen die halberloschenen Hoffnungen der Liberalen wieder aufzuleben. Regierungsrat Grävell, der alte unermüdliche publizistische Vorkämpfer der Verfassung, gab im November jenes berufene Sendschreiben des jungen Gentz an König Friedrich Wilhelm wieder heraus und meinte in seinem geharnischten Vorwort: „Zwei große Tage erscheinen im Leben der Völker: der Tag der Thronbesteigung, wo die Zeit — und der Tag der Verfassungsverleihung, wo die Weisheit einen neuen Bund schließt zwischen Fürst und Volk. Friedrich Wilhelms Volk erlebt jetzt den zweiten großen Tag, das Jahr 1820 bringt ihm das Evan- gelium der Zukunft, den Tag der Gründung einer ständischen Verfassung." Sogar das radikale Weimarische Oppositionsblatt weissagte noch im De- zember, daß im nächsten Jahre eine preußische Konstitution den kühnsten Wünschen entsprechend erscheinen werde. Die herausfordernde Sprache der alten Stände, die seit den Karls- bader Beschlüssen immer dreister auftraten, bestärkte den Staatskanzler nur in seinen konstitutionellen Plänen. „Durch die neuesten Beschlüsse der hohen deutschen Bundesversammlung mit Trost und Hoffnung erfüllt“, wendete sich die westhavelländische Ritterschaft an den König (17. November), um ihre Entrüstung über „die unanständige Vermessenheit der sogenannten Volksrepräsentanten anderer deutschen Länder“ auszusprechen. „Bekannt mit der Stimmung des kräftigsten Teiles der Nation, des Landvolks, dürfen wir behaupten, daß dieser im allgemeinen weit davon entfernt sei, den überall verbreiteten volksverführenden Umtrieben Gehör zu geben, sondern vielmehr das Fortbestehen früherer Einrichtungen, aus denen das günstige seiner bisherigen Lage erwächst, eifrig wünscht. Alle deutschen Länder ver- danken ihr Glück seit einem halben Jahrtausend dem Bestand von land- ständischen Verfassungen, an denen nur durch Vertrag geändert werden konnte.“ Darauf die Bitte um Wiederherstellung des alten Rechts, und dazu noch ein trotziges Begleitschreiben an Hardenberg, das die Aufhebung der ständischen Vorrechte als einen Eingriff in das Eigentum verdammte. Bald nachher verlangten die Stände der Grafschaft Ruppin, die Krone möge erwählte Deputierte der alten Stände aus den einzelnen Provinzen nacheinander in den Verfassungsausschuß berufen — eine Bitte, die bald praktische Bedeutung erhalten sollte. Beide Eingaben wies der Staats- kanzler scharf zurück.) *) Eingabe der Ritterschaft des westhavelländischen und zauchischen Kreises an den König, 17. Nov.; desgl. der Stände der Grafschaft Ruppin, 21. Dez. 1819. 387