596 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. Gleichwohl gewann seine neue Verfassungskommission kein kräftiges Leben. Sie beschloß zunächst einen allgemeinen Plan für das Ganze der ständischen Einrichtungen zu entwerfen, alsdann schrittweise aufsteigend zu der Kommunalordnung, dann zu den Kreis-, den Provinzial- und den Reichsständen überzugehen. Aber sie hielt bis zum Jahresschlusse nur zwei Sitzungen, und nur zwei ihrer Mitglieder, Ancillon und Eichhorn, äußerten sich schriftlich über den allgemeinen Plan; beide forderten das Zweikammer— system und für die Reichsstände „nicht allein eine beratende, sondern eine gesetzgebende Stimme“.“) Die Wirksamkeit des Ausschusses ward von Haus aus gelähmt durch die Feindschaft Hardenbergs und Humboldts, die eben jetzt in einem erbitterten Ringen sich miteinander maßen. — Nach Beendigung seiner Frankfurter Geschäfte war Humboldt erst am 12. August in das Ministerium eingetreten und hatte vom ersten Tage an das beleidigende Mißtrauen Hardenbergs ertragen müssen. Der Mi— nister für die ständischen Angelegenheiten erfuhr wochenlang kein Wort von den „Ideen“ des Staatskanzlers und war als der Verfassungsplan endlich zutage kam ganz ebenso überrascht wie die übrigen Mitglieder des Ausschusses. Diese kränkende Haltung Hardenbergs hatte freilich gute Gründe; denn seit dem Tage der Übernahme seines Amtes arbeitete Hum— boldt unablässig darauf hin, sich und den übrigen Ministern die selb— ständige, verantwortliche Stellung zu erobern, welche nach seiner Über- zeugung notwendig aber mit den Rechten des Staatskanzlers unvereinbar war. Sein letztes Ziel blieb der Sturz Hardenbergs; er verbarg es kaum noch, daß er den Staatskanzler für einen unheilvollen Mann hielt, und alsbald bot sich ihm die Gelegenheit den Kampf zu eröffnen. Am 9. August hatte der König dem Ministerium sein berechtigtes Mißfallen kundgegeben, weil die Kabinetts-Ordre vom 11. Januar noch immer nicht beantwortet war.“*)) Der Ministerrat trat zusammen um dem königlichen Befehle endlich zu genügen, und es gelang dem neu eingetretenen Mitgliede, die weit auseinandergehenden Meinungen seiner Amtsgenossen auf einen be- stimmten Gedanken zu vereinigen. Humboldt fand den tiefsten Grund der vorhandenen Mißstände in der Machtstellung des Staatskanzlers und gewann die Mehrheit der Mi- nister für sich, da Bernstorff und Klewitz abwesend waren, Wittgenstein den Sitzungen behutsam fern blieb. Umsonst versuchte Hardenberg abzu- mahnen; kaum acht Tage nach Humboldts Eintritt war die Stimmung im Ministerium schon so schwierig, daß der Staatskanzler bereits die Not- wendigkeit eines Ministerwechsels voraussah““) Am 26. August unter- zeichnete das Staatsministerium ein von Humboldt verfaßtes Antwort- *) Protokolle der Verfassungskommission, 12., 28. Okt. Ancillon und Eichhorn, Ideen zu der landständischen Verfassung. *“) Kabinettsordre an das Staatsministerium, 9. Aug. 1819. *“) Hardenbergs Tagebuch, 19. Aug. 1819.