10 III. 1. Die Wiener Conferenzen. Dauer des hiesigen Vereins eine heilsame Scheu einzuflößen hoffte.“) So wunderliche Blasen stiegen aus dem Sumpfe der deutschen Bundes- politik empor. Nicht nationale Gesinnung beseelte den Staatsmann, der so nachdrücklich die Nothwendigkeit einer starken Centralgewalt vertheidigte, sondern die Furcht vor der Revolution und die naive Selbstüberhebung des Particularismus; er verwechselte, wie Bernstorff ihm vorwarf, be- ständig „die besonderen Verhältnisse Badens mit den höheren und allge- meineren der Gesammtheit". Der Ausgang der Wiener Verhandlungen erfüllte diese reaktionären Centralisten mit tiefem Unwillen. „Oesterreich", schrieb Blittersdorff zornig, „sicherte durch seine Halbheit den neuen Ideen den Sieg; in dieser Beziehung kann die Wiener Schlußakte als die nach- theiligste Friedensurkunde betrachtet werden, die von Oesterreich seit langen Jahren unterzeichnet worden ist.““) Noch leidenschaftlicher gebärdete sich Berstett's Freund, der Nassauer Marschall. Der hatte erwartet, daß in Wien sofort der Vernichtungs- krieg gegen die neuen Verfassungen entbrennen würde, und schon vor Eröffnung der Conferenzen eine Denkschrift entworfen, welche in glühenden Farben „das Gemeinschädliche und Rechtswidrige“ des württembergischen Grundgesetzes schilderte. Weil diese Verfassung die Form eines Vertrages trug, so wurde sie, trotz ihres wahrlich sehr bescheidenen Inhaltes, von den Doktrinären beider Parteien für das Meisterstück des Liberalismus angesehen. Der Nassauer meinte die Sturmglocken des Aufruhrs läuten zu hören, als die Stuttgarter Bürger in einer Adresse sagten: „das gebildete Europa von den Ufern des Tajo bis an den Niemen ist über den Grundsatz einig, daß ohne einen Unterwerfungsvertrag Regent und Volk nicht gedacht werden könne.“ Er betheuerte, schon durch ihren Ur- sprung sei diese Verfassung „eine Huldigung, dem in Deutschland gäh- renden demokratischen Princip dargebracht; an ihre öffentliche Mißbilli- gung knüpfe sich die Erhaltung und Befestigung der inneren Ruhe von Deutschland.“ Die ängstlich beschränkte Gemeindefreiheit der Schwaben erschien dem Oberhaupte der allmächtigen nassauischen Bureaukratie als ein Versuch „den Staat von unten auf zu republicanisiren“; und da er selber mit seinem Landtage wegen der Domänen haderte, so fand er es empörend, daß König Wilhelm, nach dem Vorgange seines Vaters, dem Staate das Eigenthumsrecht an den königlichen Kammergütern zu- gestanden hatte, und rief entrüstet: „ein deutscher Fürst hat sein Fa- miliengut für Volksgut erklärt!“) Bald mußte er lernen, wie un- günstig die Wiener Luft jetzt solchen Plänen war. Als er sodann das vertrauliche Einvernehmen zwischen Bernstorff und Zentner bemerkte, da – — — — —„,„ —— *) Bernstorff's Bericht, 9. April; Bernstorff an Ancillon 9. April 1820. **) Blittersdorff, Bemerkungen über die gegenwärtige politische Krisis, 5. Nov. 1820. * ) Marschall, Bemerkungen über die württembergische Verfassung, Wien, 17. Nov. 1819, veröffentlicht von Aegidi in seiner Zeitschrift für deutsches Staatsrecht I. 149.