34 III. 1. Die Wiener Conferenzen. Die Nation war über das Problem der Zolleinheit noch ebenso wenig ins Klare gekommen wie ihre Staatsmänner. Von dem politischen Er- gebniß der Conferenzen erwartete sie, nach den Karlsbader Erfahrungen, nichts Erfreuliches; nur die Aufhebung der Binnenmauthen und nament- lich der preußischen Zolllinien erschien allen Parteien als ein bescheidener Wunsch, der bei einigem guten Willen der Regierungen leicht erfüllt werden konnte. Eine Flugschrift „Freimüthige Worte eines Deutschen aus Anhalt" sprach mit drastischen Worten aus, was nahezu alle Nichtpreußen über die Berliner Handelspolitik dachten. Der offenbar wohlmeinende Verfasser fand es ehrenrührig, daß man die von preußischem Gebiete um- schlossenen Staaten als Enclaven bezeichne, und schlechthin rechtswidrig, daß Preußen von „Fremden" Steuern erhebe; das Strafurtheil der öffent- lichen Meinung müsse der Sache „der Wahrheit und des Rechts" unfehl- bar zum Siege verhelfen. Als Wortführer der Kaufleute und Gewerbtreibenden fand sich F. List mit seinen Getreuen J. J. Schnell und E. Weber auf den Conferenzen ein und legte eine Denkschrift vor, deren hochgemuthes patriotisches Pathos inmitten der engherzigen particularistischen Interessenpolitik der Wiener Versammlung wildfremd erschien. Mit der Einheit der Nation — so führte er in beredten Worten aus — sei die vollkommene Unabhängigkeit der Einzelstaaten nicht vereinbar; der Bund müsse den dreißig Millionen Deutschen den Segen des freien Verkehrs schaffen und also in Wahrheit ein Bund der Deutschen werden. Und was war der praktische Vorschlag, der diesen begeisterten Worten folgte? List verlangte, daß die deutschen Staaten ihre Zölle an eine Aktiengesellschaft verpachten sollten, und machte sich anheischig die Aktien unterzubringen; diese Gesellschaft würde das deutsche Bundeszollwesen begründen und den Regierungen alle Sorge um lästige Einzelheiten abnehmen! Seltsam doch, in welche holden Selbst- täuschungen der feurige Patriot sich einwiegte. Er behauptete, Preußen sei geneigt sein Zollgesetz aufzugeben, obgleich man ihm soeben von Berlin aus amtlich das Gegentheil versichert hatte. Er sah sich von der Wiener Polizei argwöhnisch beobachtet und schrieb in die Heimath: „wir sind von allen Seiten mit Spionen umgeben, bei einem Spion einguartiert, von einem Spion bedient““); er wußte, daß Metternich in der Conferenz erklärt hatte, mit den Individuen, welche sich für die Vertreter des deutschen Handelsstandes ausgäben, könne man sich auf keine Verhandlungen ein- lassen, da der Bundestag bereits den Deutschen Handelsverein als ein gesetzwidriges und unzulässiges Unternehmen verurtheilt habe. Das Alles beirrte ihn nicht in seiner rührenden Zuversicht. Als nun gar Adam Müller eine Denkschrift List's über deutsche Industrie-Ausstellungen wohl- wollend begutachtete, und Kaiser Franz in einer Audienz dem unverwüst- —... — *) List an seine Gattin, Wien, 18. Febr. 1820.