48 III. 1. Die Wiener Conferenzen. Liberalen, weil er voraussah, daß Oesterreich vielleicht bald alle seine Kraft wider die Revolution in Südeuropa werde verwenden müssen, und hielt darum für nöthig, den reaktionären Eifer des Freundes zu be- sänftigen. In einer langen salbungsvollen Denkschrift (4. Mai) wiederholte er dem Badener zunächst seine alte Lieblingslehre, daß in so stürmischen Tagen die Erhaltung des Bestehenden das Ziel aller Wohlgesinnten sei, und reihte daran den geistreichen Satz: „in diesem Punkte, mit welchem Alles gerettet, ja selbst das Verlorene zum Theil noch wiedergewonnen werden kann, müssen alle Anstrengungen zusammentreffen.“ Auf diese Axiome, welche der gesammten diplomatischen Welt schon längst als eisernes Inventar der k. k. Kanzleisprache wohlbekannt waren, folgten jedoch die in Metternich's Munde unerhörten Worte: „Wir begreifen aber dar- unter nicht blos die alte, nur in wenig Staaten unberührt gebliebene Ordnung im engeren Sinne des Worts, sondern auch neu eingeführte Institutionen, sobald sie einmal verfassungsmäßige Kraft haben. In Zeiten wie die jetzigen sind, ist der Uebergang vom Alten zum Neuen kaum mit größeren Gefahren verbunden, als die Rückkehr vom Neuen zu dem bereits erloschenen Alten. Der eine Versuch kann wie der andere mate- rielle Unruhen herbeiführen, die heute um jeden Preis vermieden werden müssen. Den Einwurf, daß es unter den in Deutschland bisher ein- geführten Verfassungen solche gebe, die gar keine Basis und folglich auch keinen Anhaltspunkt gewährten, betrachten wir als ungegründet. Jede einmal bestehende Ordnung — sie müßte denn, wie etwa die Consti- tution der Cortes von 1812, das Werk reiner Willkür und unsinniger Verblendung sein — enthält Stoff zu einem besseren System.“ Darauf erinnert er die kleinen Höfe an die Eintracht der großen Mächte, an die soeben in Wien neu befestigte Vereinigung zwischen den deutschen Bundes- staaten, und ermahnt sie schließlich zu einem streng gesetzlichen, verfassungs- mäßigen Regimente. Im Nothfalle bleibe ihnen noch „die Appellation an die Hilfe der Gesammtheit. Wenn Oesterreich, in seinem Innern unbewegt, noch eine ansehnliche Masse moralischer Kräfte und materieller Mittel besitzt, so wird es beide auch für seine Bundesgenossen zu ver- wenden bereit sein.““) Also kein Wort mehr von der Wiederherstellung der alten Landstände; dieselben süddeutschen Verfassungen, welche Metter- nich in Karlsbad als demagogisch verdammt hatte, erkannte er jetzt als einen unantastbaren Rechtsboden an. *) Der Abdruck der Note vom 4. Mai 1820 bei Welcker, wichtige Urkunden S. 335, stimmt — bis auf mehrere, offenbar verlesene oder verschriebene Wörter — vollständig überein mit dem Originale, das sich zu Karlsruhe im Archiv des Min. d. a. A. befindet. Die im Wortlaute stark abweichende Denkschrift, welche in Metternich's hinterlassenen Papieren III. 372 abgedruckt ist, kann mithin, gleich vielen anderen Aktenstücken dieser Sammlung, nur ein Concept sein.