54 III. 1. Die Wiener Conferenzen. Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff- nung, daß sich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in der That war selbst Wintzingerode über die Rachsucht der Bureaukratie empört. Der König aber blieb unversöhnlich und erwiderte auf ein Gnadengesuch der Gattin des Flüchtlings in seiner hochmüthigen Weise: List's Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei- führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverstand ent- sprungen sei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und dort zu literarischen Zwangsarbeiten — das will sagen: zum Abschreiben militärischer Bekleidungs-Akten — angehalten. Erst zu Anfang 1825 gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf sein Bürgerrecht verzichtete und das Land sofort verließ. Also ward der ideenreichste politische Kopf, welchen Süddeutschland zur Zeit besaß, von seinen Landsleuten verbannt — auch er, gleich so vielen anderen großen Schwaben, ein Opfer der kleinlichen Zustände seiner Heimath. Ein strenges und doch gütiges Geschick warf den ungestümen Agitator zur rechten Zeit in den mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, so daß er späterhin nach erfah- rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinstädtische deutsche Welt mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der schimpfliche Vor- fall fand in Deutschland wenig Beachtung; denn List hatte keine Partei hinter sich, es lag im Wesen dieses Feuergeistes, daß er immer nur kühne Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weisen konnte; und die liberale Presse verweilte ungern bei der lästigen Thatsache, daß der freisinnigste deutsche Fürst mit Genehmigung seines Landtags einen hochherzigen Pa- trioten mit einer Grausamkeit peinigte, welche den Sünden der Berliner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab. Für die Entwicklung des württembergischen Verfassungslebens wurde die Ausstoßung List's auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet die Menschen fester an einander, als gemeinsam begangenes Unrecht. Durch die Mißhandlung ihres Genossen hatte die Mehrzahl der Abgeord- neten dem Minister ihre Seele verschrieben; die Minderheit war ent- muthigt, die schwachen Regungen eigenen Willens, die sich im Anfange der Session noch gezeigt, verstummten allmählich. Der Landtag versank in ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der- maßen überhand, daß die Regierung sich bald genöthigt sah, die Wähler durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts anzuhalten. Von den überschwänglichen Freiheitswünschen, welche einst das Erscheinen der Verfassung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung. Aber für die materiellen Interessen sorgte der König so einsichtig, daß selbst der liberale Wangenheim und sein Freund Geh. Rath Hartmann an dem gescheidten und energischen Fürsten niemals ganz irr wurden; und min- destens eine der Segnungen, welche dies unschuldige Zeitalter von dem