Städte und Kreise. 105 schwerer zu gewinnen, als vormals das verschüchterte Kleinbürgerthum der Städte des Ostens. Auch in der Kreisverwaltung verrieth sich überall der Gegensatz von Ost und West. Gleichzeitig mit den Provinzen und den Regierungs— bezirken war auch die altbewährte brandenburgische Kreiseintheilung mit— sammt dem Landrathsamte in die neuen Gebiete eingeführt worden, und im Jahre 1816 hatte der König den Kreisständen wieder gestattet, für die erledigten Landrathsstellen drei Candidaten aus den Grundbesitzern des Kreises vorzuschlagen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes war der Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter, und Hardenberg erklärte ausdrücklich: wenn der Landrath aus den Kreiseingesessenen ernannt würde, so „liege dem keineswegs die Vorstellung von einem repräsen- tativen Verhältniß zu Grunde, sondern nur die Idee, daß ein Solcher mit seinem Grundeigenthum für die Vermuthung bürge, daß er kennen und befördern werde, was zum Wohl der Kreisinsassen gereicht.““') That- sächlich blieb der Landrath im Osten doch wie von Alters her zugleich Organ der Regierung und Vertrauensmann seines Kreises. Die eigen- thümliche Doppelstellung, die dem Hauptamte der alten Provinzen seinen Charakter gab, ließ sich leider auf die westlichen Landestheile nicht kurz- weg übertragen. Hier war die Zahl der gebildeten Grundbesitzer so gering, daß man auch „andere geeignete Personen", namentlich Offiziere, an die Spitze der Kreisverwaltung stellen mußte. Solche Beamten-Landräthe konnten nicht viel mehr sein als Nachfolger der napoleonischen Unter- präfekten. Einzelne von ihnen wurden zwar allmählich in dem neuen Neste warm: so der wackere Bärsch, der Genosse Schills, der in dem armen Eifelkreise Prüm ein strenges Regiment führte und bald durch seine Schriften über die Landeskunde der Eifel bewies, daß er in dem rauhen Gebirge besser Bescheid wußte als die Eingeborenen selber. Viele aber blieben ihrem Kreise fremd und betrachteten ihr Amt als einen Durchgangsposten zu höheren Stellen. Die radicale Zerstörung aller aristokratischen Kräfte führte hier wie in Frankreich zu einer rein bureau- kratischen Verwaltung. Ueber die Kreisversammlungen war noch nichts bestimmt, seit der König das unglückliche Gensdarmerie-Edikt außer Kraft gesetzt hatte; doch Jedermann fühlte, daß die Kreisstände in dem bürger- lichen Westen eine andere Form erhalten mußten als in den aristokratischen alten Provinzen. — Wie wenig mußten der König und sein Kanzler diese verwickelten Verhältnisse kennen, wenn sie die Vollendung der Communalordnungs- Entwürfe binnen vier Wochen erwarteten. Erst nach einem halben Jahre hatte die Commission den ungeheuren Stoff nothdürftig, und nicht ohne *) So erwiderte Rother im Auftrage des Staatskanzlers auf eine Anfrage des Reg.-Präs. Wißmann vom 28. Nov. 1815.