Landgemeinde- und Städte-Ordnung. 109 wegs zu verlangen, über die Patrimonialgerichte hatte sie ohnehin nichts zu entscheiden; sie sah auch ein, daß man den Grundherrn zum Eintritt in die Dorfgemeinde, die ihm vor Kurzem noch unterthänig gewesen, nicht ohne Weiteres zwingen durfte. Auf der anderen Seite war die Wieder- einführung der Gutsherrschaft in den westlichen Provinzen unmöglich und die Ernennung des Schulzen durch den Grundherrn jetzt eine offenbare Ungerechtigkeit, da die Interessen des Dorfes und des Rittergutes bei der noch unvollendeten Auseinandersetzung oft genug feindlich auf einander stießen. Daher ward ein Mittelweg eingeschlagen. Der Grundherr sollte einstweilen behalten was ihm von Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt noch zustand, aber der Landrath war befugt in Polizeisachen dem Dorsschulzen unmittelbar zu befehlen. Der Gutsherr durfte ferner beim Landrath Einspruch erheben gegen die Schulzenwahl und zur Wahrung seiner Rechte sich das Gemeindebuch vorlegen lassen; er konnte endlich verlangen, daß sein Gut, wenn es bisher dem Dorfverbande noch nicht angehört hatte, auch fernerhin einen besonderen Gutsbezirk unter seiner persönlichen Leitung bilden solle. Die ausgesprochene Absicht dieser Vorschläge ging dahin, den Dörfern und den Gutsbezirken in Zukunft „die gänzliche Vereinigung zu erleichtern“. Aber wie gründlich täuschte man sich doch am grünen Tische über die Gesinnung des Landadels, wenn die Commission hoffen konnte, die Grundherren würden ihre Polizeigewalt bald selber „als eine unnütze Last betrachten“. Minder tief griffen die Vorschläge der Commission in die Städte- ordnung ein. Hier galt es nur einige Mängel des Stein'schen Gesetzes zu beseitigen, welche sich in der Erfahrung erwiesen hatten und von Stein selbst nicht abgeleugnet wurden. Jedermann gab zu, daß die Städte- ordnung die grundverschiedenen Verhältnisse der einzelnen Communen allzu gleichmäßig regelte; darum forderte die Commission für jede Stadt die Befugniß, mit Genehmigung des Staates ein Ortsstatut zu vereinbaren. Sodann hatte das Bürgerrecht seit der Einführung der Gewerbefreiheit seine wirthschaftliche Bedeutung verloren; Gewerbe zu treiben, städtische Grundstücke zu erwerben stand jetzt einem Jeden frei. Das einzige wesentliche Recht des Bürgers blieb fortan die Theilnahme an der Gemeindeverwaltung. Demgemäß verlangte die Commission, daß fortan den sogenannten Notabeln, den Staatsdienern, Geistlichen, Gelehrten, die bisher zumeist Schutzverwandte geblieben waren, die Erwerbung des Bürgerrechts erleichtert würde; von dem hohen Census aber, dessen Ein- führung die Hochconservativen forderten, wollte sie nichts hören. Eine andere Beschwerde der Conservativen richtete sich wider die mangelhafte Staatsaufsicht; „unsere Städte sind zu kleinen Republiken geworden,“ hieß es im Lager der altständischen Partei. In der That ließ der Staat die großen Communen ganz frei gewähren und den Magistraten selbst grobe Gesetzesverletzungen hingehen; es kam vor, daß eine Stadt