110 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's. zwanzig Jahre lang gar keine Erneuerungswahlen für die Stadtverordneten- versammlung ausschrieb. Aber auch in dieser Frage blieb die Mehrheit der Commission den Wünschen der Conservativen unzugänglich. Bei ihren Berathungen über die Städteordnung pflegte Geh. Rath Streckfuß das entscheidende Wort zu sprechen, ein aus Sachsen herübergekommener ausgezeichneter Beamter, der einst daheim ein in Heimlichkeit und Nepo— tismus verkommenes Städtewesen verachten gelernt hatte und nun das kräftige bürgerliche Leben der preußischen Städte als ein Ideal bewunderte. Wie war er stolz auf diese „preußische Freiheit“; „sehr wunderlich“ er— schien ihm dagegen die Freiheit Frankreichs, die der Nation zwar gestatte, die Minister abzusetzen, aber ihr jede Mitwirkung bei ihren nächsten An— gelegenheiten versage. Ein warmer Vertheidiger der Städteordnung Stein's führte er acht Jahre später einen lebhaften Federkrieg gegen F. v. Raumer. Auf seinen Rath beschloß die Commission, das Aufsichtsrecht des Staates scharf zu beschränken: besser immerhin, daß die Communen einige Miß— griffe begehen, als daß die Regierung verhaßte Willkür übe; nur die Landesgesetze und die Grundgedanken des neuen Steuersystems durfte die Communalverwaltung nicht antasten. Erst ein späteres Geschlecht sollte erfahren, daß diese allgemeinen Sätze keineswegs genügten, um die Grenzen zwischen Staat und Gemeinde abzustecken. Das Besteuerungsrecht der Communen bedurfte einer genauen gesetzlichen Regelung, sonst konnte der Staat auf die Dauer sein eigenes Steuersystem nicht zugleich sicher und beweglich erhalten. Aber solche Erwägungen lagen noch ganz außerhalb des Gesichtskreises der Zeit. Sehr heftig wurden die Verhandlungen, als eine schon längst von allen Seiten beklagte Lücke der Städteordnung zur Sprache kam. Stein hatte in seinem Gesetze nicht gesagt, wie die Streitigkeiten zwischen Ma— gistrat und Stadtverordneten auszugleichen seien; jetzt wünschte er leb— haft, daß in solchen Fällen der Schiedsspruch von Obmännern eingeholt werden solle. Streckfuß aber betrachtete den Stadtrath nur als den Diener der Bürgerschaft und erkannte die Gefahr, daß sich aus den be— soldeten Berufsbeamten der Magistrate eine neue Communal-Bureaukratie herausbilde. In diesen Kreisen, so erklärten die hohen Beamten der Commission mit seltener Unbefangenheit, entstehe leicht „der Beamtengeist, der nur zu oft theils zu gänzlicher Schlaffheit, theils zur Aufopferung des Wesens um der Form, der Sache um des Amtes willen verleite“. Darum beantragten sie, daß der Magistrat der Regel nach nur die Be— schlüsse der Stadtverordneten auszuführen habe und lediglich bei Anleihen, bei Veräußerung der Gemeindegüter, sowie bei ungesetzlichen Zumuthungen seine Beistimmung verweigern dürfe. Der Antrag schoß weit über das Ziel hinaus, und vergeblich warnte Geh. Rath Köhler: das heiße die Magistrate jeder Kraft berauben, die Gemeinden demokratisiren.) Von *) Köhler, Separatvotum zur Städteordnung.