Mängel der Kreisordnung. 113 bereitet; denn wollte man die Ritterschaft, die bisher die Kreistage allein beherrscht hatte, mit einem male in die Minderzahl hinabstoßen, so for— derten die Klugheit und die Gerechtigkeit, daß man den großen Grund— besitzern die Möglichkeit gewährte, sich durch die Ehrenämter der Kreis— verwaltung ihren wohlberechtigten Einfluß auf dem flachen Lande zu sichern. Doch für die Lebensbedingungen der ländlichen Selbstverwaltung, die überall aristokratisch ist, besaß die liberale Bureaukratie keinen Sinn. Und durfte man den Gegensatz von Stadt und Land, der in der großen Mehrzahl der Kreise unverkennbar noch bestand, durch einen Befehl des Gesetzgebers einfach auslöschen? Wie schablonenhaft vollends war der Versuch, den Großgrundbesitzern überall, trotz der ungeheuren Verschiedenheit der socialen Verhältnisse, dasselbe Drittel der Stimmen zu gewähren. Um diesen künstlichen Ge— danken auch nur auf dem Papier durchzuführen, mußte die Commission alle Eigenthümer, die 100 Thaler Grundsteuer zahlten, zu den großen Grundbesitzern rechnen, sonst konnte sie in vielen Kreisen der westlichen Provinzen gar keinen Großgrundbesitzer auftreiben. Das verfehlte Unter- nehmen bewies unwiderleglich, daß eine gemeinsame Kreisordnung für den Osten und den Westen ebenso unmöglich war wie eine Landgemeinde- ordnung für das ganze Staatsgebiet. Am Ende ihrer Arbeiten sprach die Commission noch freimüthig die Befürchtung aus, daß man im Volke vielleicht glauben werde, „hiermit solle nun die ganze ständische Angelegen- heit abgethan, das Wort Sr. Majestät gelöst und von einer Verfassung für die Monarchie nicht mehr die Rede sein“. Um solche Zweifel ab- zuschneiden, schlug sie einen Schlußartikel vor, worin der König erklärte, das Verhältniß der Kreistage zu den künftigen Ständen der Monarchie würde „in der Urkunde über die Verfassung“ näher bestimmt werden. Die Arbeit der Commission war verunglückt. Ein Werk aus einem Gusse, einen haltbaren Unterbau für Preußens Verfassung hatte sie nicht geschaffen. Grade die beiden wichtigsten Entwürfe, Landgemeinde= und Kreisordnung beruhten auf falschen Grundgedanken, während die minder erheblichen Vorschläge zur Reform der Städteordnung auch minder an- fechtbar waren. Und Angesichts der mächtigen Feinde, welche das ganze Verfassungswerk bekämpften, ließ sich der begangene Fehler schwerlich noch zur rechten Zeit sühnen. Stein in seiner Verstimmung hielt sich von vornherein überzeugt, daß die Gehilfen Hardenberg's nur ein Werk „des Buralismus und Liberalismus“ schaffen könnten. Und schon im Februar, als die Commission ihre Arbeit noch kaum begonnen, hatte das Comité der ostpreußischen Stände, voran der Minister Alexander Dohna, an den König eine Adresse gerichtet, welche sich heftig gegen die Karlsbader Be- v. Treitschke, Deutsche Geschichte. UI. 8