damit noch nicht Alles geschehen. Die Sache ist schon tief eingewurzelt, durch Irrlehren die Jugend schon sehr angesteckt. In vielen Staaten, meine nicht ausgenommen, viele Staatsdiener aller Klassen, selbst Minister davon angesteckt gefunden, werde mich nun aber ernstlich damit beschäf— tigen.““) Nun brachte fast jede neue Post schlimme Nachrichten von den Fortschritten der Revolution in Spanien und Italien, und überall hatte das Zauberwort „Verfassung“ die bewaffnete Macht zum Bruche des Fahneneides verführt: durften solche Gräuel unter den schwarzundweißen Fahnen möglich werden? Ohne nähere Kenntniß von allen den Sünden des bourbonischen Regiments, welche die Thorheiten der Revolution nur zu leicht erklärten, sah der König in dieser wilden Bewegung eines ver— zweifelnden Volkes nur eine wüste Empörung und fand es ganz in der Ordnung, daß Oesterreich die Ruhe in Italien wiederherstellen wollte. Eine neue Zusammenkunft der Monarchen in Troppau war bereits ver— abredet. Noch häufiger als sonst in den freudlosen Tagen seiner Wittwer— einsamkeit ward er jetzt von Anfällen verzagten Trübsinns überwältigt. Er fühlte sich müde und mit fünfzig Jahren schon alt — wie viele schwere Schickungen hatte er auch in dem Vierteljahrhundert seiner Regierung ertragen müssen! — und zuweilen, wie schon in früheren Jahren, dachte er ernstlich daran, die Bürde dieser Krone niederzulegen, den Abend seines Lebens in ländlicher Stille, seinen Neigungen gemäß, zu verbringen.“) Die Geschäfte ekelten ihn oft an, und es kostete Mühe, ihn nur zur Ab- reise nach Troppau zu bewegen.) In solcher Stimmung, verdrießlich und muthlos, richtete der König, kurz bevor Hardenberg nach Troppau abreiste, ein eigenhändiges Schreiben an den Staatskanzler und forderte ihn auf, sich nochmals über die Ver- fassungssache auszusprechen.) Damit erhielt Hardenberg das erste be- stimmte Anzeichen, daß der König an dem Verfassungswerke bereits zu verzweifeln begann; denn mit der Communalordnung fielen auch die Reichsstände, wenn nicht ein entschlossener Wille die ganze Arbeit von vorn begann. Der Kanzler sah, was auf dem Spiele stand und sendete zur Antwort eine ausführliche Denkschrift. Er schrieb französisch, ohne Zweifel, weil er voraussah, daß der König in Troppau die Frage mit den beiden Kaisern erörtern würde.#—) Noch einmal entwickelte er hier den Plan seines Zweikammersystems: eine erste Kammer, gebildet aus den Standesherren, der hohen Geistlichkeit, einigen Abgeordneten des Adels und einer bestimmten Anzahl von Männern des königlichen Vertrauens; *) Stockhorns Bericht, 25. April 1821. “) Hardenberg's Tagebuch, 11. Nov. 1820. 'k“) Hardenberg's Tagebuch, 25. Okt. 1820. +)Hardenberg's Tagebuch, 5. Nov. 1820. #Das Original dieser Denkschrift ist kürzlich von A. Stern auf- gefunden worden (Forschungen zur D. Gesch. 26, 321). Ihr wesentlicher Inhalt war schon früher bekannt, da Hardenberg die Hauptsätze derselben, deutsch übersetzt, in seinem Berichte vom 2. Mai 1821 wörtlich wieder anführte.